Full text of "HAIN 2"
per nächste MI A IN BRINGT...
.. ANGST VOR MYSTIK? Weg zum \lahnsinn oder Iıleg zur Erleuchtung?
...MALTA : Steinzeitliche Tempel der Großen Göttin.
.. „BEWUSST SEIN RBB : Timothy Leary, Anton Wilson, Starhawk, Luisa
Francia und andere kommen zur Berliner New-Age-Tagung.
...Meditationsübungen, die zweiten Teile der Artikel über Thelema und
den Gehörnten Gott und eine neue Folge des BERSERKERS.
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INHALT
VDRWOLEL. een TE ee
un esneern nr Feen nee DELILE 2
Mythologie:
Ber Gehärnbenbokt er Seite 6
Sernneorenteeeesneeneeee. Seite
Die Göttin der Morgenröte cceneeeeeennen Seite 15
Seseseseersenenseene SEITE
Natur/Heilkunde:
Hexensalben, Legende oder Wirklichkeit wuarbtarhe Sara Seite 20
Fantasy:
Der Berserker, Teil 2
Kunsesesssennenenhonnne ana ueeeeens Seite 26
Kulke
Das Mältestne., ones; Seite 37
Sonneesnerenseneseneennenserere. Seite
Gruppen:
Thelema - oder gibt es noch eine Heilige Inquisition? ....... Seite 45
Konkalte
ee ee een ae ee, Seite 52
Impres
8
UM ann ner een een Seite 25
Liebe Leserin!
Lieber Leser!
Nun ist es endlich soweit: aus
den Tiefen der Erde dringt neues
Leben ans Licht, die Knospen der
Blumen öffnen sich, das weiße
Leichentuch des Winters wird
abgeschüttelt und überall ist
frisches, junges Grün! Doch der
Winter gibt sich nicht so leicht
geschlagen. Wärme und Frost,
Sonne, Regen und Schnee wechseln
sich in wildem Tanz ab. Hoch-
wasser-Katastrophen suchen den
Süden Deutschlands heim und in
der Schweiz und in Österreich
donnern Lawinen (letztere aller-
dings vor allem wegen des von
Menschen verursachten Waldster-
bens!). Wir Heiden erleben be-
wußt den Kampf zwischen Thor und
den Eisriesen, die Befreiung
Freyas aus der dunklen
Zwingburg, die Rückkehr Kores
aus dem Reich des Todes, die
Auferstehung von Inana, von Ado-
nis, von Osiris mit. Wir beglei-
ten das Ereignis mit unseren
Gedanken, unseren Gebeten, unse-
ren heiligen Riten. Darum liegt
ein Schwerpunkt dieser Ausgabe
des HAINs in der Verehrung der
Frühlingsgöttin und im baldigen
Maifest.
Der Artikel handelt deswe-
gen über das Maifest und nicht
über Ostara, weil Matthias und
ich abschätzen konnten, daß wir
den Erscheinungstermin zu Ostara
nicht schaffen würden. Wir beide
machen eben alle Arbeiten in
unserer Freizeit. Darum suchen
wir auch noch hier, in Berlin,
feste Mitarbeiter für die Redak-
tion, vorwiegend weibliche. Es
ist zu Recht bemängelt worden,
daß fast alle Mitarbeiter des
HAINs Männer sind, und uns
selbst ärgert dies am aller-
meisten, gerade in Bezug auf
Themen wie die Große Mutter, das
Matriarchat oder weibliche
Magie.
Was nun freie Mitarbeit
angeht, waren wir überrascht von
Eurer Aktivität: Wir sind gera-
dezu überschüttet worden von
Leserbriefen, Anmerkungen zu
Artikeln, eigenen Artikeln,
Gedichten und Essays, Anfragen,
Lob und Kritik. Dem Ziel, ein
Forum für den gegenseitigen
Gedankenaustausch im modernen
Heidentum zu schaffen, sind wir
damit schon einen großen Schritt
näher gekommen!
„Glaub i ül
Bin sein heiligstes Gut schießen!
mir, kein deutscher Jäger würde auf
Habt "bitte Verständnis da-
für, daß wir nicht alles sofort
beantworten, manches erst in
einigen Ausgaben bzw. gar nicht
abdrucken können. Außerdem wäre
es gut, wenn Anfragen künftig
Rückporto beigelegt würde. So
mancher wußte nicht recht, wie
er abonnieren sollte, darum sei
es noch einmal gesagt: Man
braucht nur 13,50 DM auf unser
Konto (siehe Impressum) zu über-
weisen und uns eine kleine
Nachricht zukommen zu lassen. Da
der HAIN Kontakte schaffen möch-
te, sind unkommerzielle Kontakt-
anzeioen kostenlos (mit dieser
Ausgabe trennen wir in mehr
persönliche "Kontakte" und mehr
öffentliche "Cruppen - Veran-
staltungen - Zeitschriften",
beide Sparten kostenlos), aber
auch kommerzielle Ilerbeanzeigen
(siehe Impressum) sind willkom-
men. !
Zwei Leser hatten ausführ-
liche Anmerkungen zu dem Artikel
"Rad des Jahres". Wir planen
deswegen, diese in einer der
folgenden Ausgaben abzudrucken.
Ein anderer Leser fand im Kreuz-
gana der Fürstabtei (Berchtes-
gaden) Abbildungen germanischer
Götter, sehr ähnlich denen, die
im Artikel "Kultstätten des
Harzes" beschrieben wurden.
Kritik gab es vor allem an
der Odins-Zeichnung auf der
Rückseite bzw. daran, daß der
germanische Wind-,. Wetter-,
Todes- (aber auch Fruchtbar-
keits-)gott nackt dargestellt
wurde. Mir persönlich kommt
diese Kritik eher etwas lächer-
lich vor, da sie mich stark an
christliche Schamhaftigkeit und
an den Christengott erinnert,
der ständig ein Lätzchen um sein
"Schmutzteil" tragen muß. Uns
Heiden sollten Natürlichkeit und
Fruchtbarkeit eigentlich heilig
sein - oder waren es keine Hei-
den, die Freyr in Uppsala mit
Phallus verehrten (von Darstel-
lungen und Bräuchen aus anderen
Teilen Europas und der Welt ganz
abgesehen)?
Aus Platz- und Zeitgründen
mußten wir die Artikel über den
Gehörnten Gott und über den
magischen Orden "Thelema" leider
zerteilen. Die angekündigten
Meditationsübungen
erst im nächsten HAIN (wir wol-
len aus diesem Thema eine fort-
laufende Reihe gestalten), auch
den Wetter-Artikel müssen wir
auf inen späteren Zeitpunkt
verschieben. In der Hoffnung,
daß Euch der HAIN dennoch Freude
macht, wünscht Euch ein fröh-
liches Maifest und den Segen der
Götter
erscheinen
Euer Michael
Noch eine Anmerkung zum
Thema "Öffentliche Meinung": Die
Springer-Presse hat wieder zuge-
schlagen! In einer siebenteili-
gen Pressekampagne zog die "Welt
am Sonntag" systematisch alles
in den Schmutz, was mit Hexen-
tum, neuem Heidentum und New Age
zu tun hat. Leider zeigte sich
nicht nur der Autor Josef Nyary
als gelehriger Schüler der Sek-
tenpfarrer, sondern auch der
SPD-Kultusminister Hans Schwier
(Nordrhein-Westfalen) ließ sich
dazu herab, vor der "Droge Dk-
kultismus" und vor "Lehrern, die
sich leichtfertig in der Schule
als Hexen bezeichnen", zu war-
nen. Es lebe die Heilige Inqui-
sition!
KREISLAUF
Ich bin ein friedlich grasendes Reh
und ich bin der reißende Wolf
der nach seinem Blut dürstet
Ich bin ein gehetzter Wolf
Jer vor den Jäger licht
Jer sein Fell begehrt,
und ich bin der Jäger
auf den der Tod wartet
Jamit die Erde
Tu .
meinen Körper verschlingen kann.
Martin Coleman
DAS UN - TIER.
Die Brennessel im Blumenbeet
ist für ihn Unkraut.
Finen versehentlich entschlüpften Furz
betrachtet er als Unart.
Finen Kindesverführer
nennt er einen Unhold.
Einen hungrigen Wolf
sicht er als Ungehener,
doch er selbst
benimmt sich wie ein Un - Tier.
Martin Coleman
Der Gehörnte
",..Und wir rufen Dich, oh
mächtiger Jäger..." Durch das
Dunkel meiner geschlossenen Au-
gen dringt die volle Stimme Cays
zu mir. "..Wilder Gott...
Rauschgott... trunkener Jüng-
ling... Befreier, der die Ek-
stase bringt... der die Weisheit
bringt... die Fackel trägt...
Lucifer... Geliebter... Lieben-
der in dunkler Nacht... sterben-
der und wieder auferstehender
Gott, Herr des Lebens, Herr des
Todes, Herr des Tanzes, Sonnen-
kind, Hirsch, Stier, Bock, Tän-
zer, Flamme in uns, Dionysos!
Pan! Odin! Cernunnos! Osiris!
Tammuz!I Balder! Hades! Sol!
Paaaaaanl I"
Stille. Der letzte Name war
schon fast ein Schrei gewesen.
Ich öffne meine Augen nicht. Ich
höre nicht zum ersten mal eine
Anrufung und ich höre auch nicht
zum ersten mal, wie eine tiefe,
sanft schmeichelnde Stimme von
plötzlicher Erregung gepackt in
ein wildes Rufen umschlägt.
War es Cays Stimme? Das
spielt keine Rolle mehr. Wir
stehen in einem Kreis, halten
uns an den Händen, haben die
Lider geschlossen. Nacheinander
rufen wir den Gott, so wie wir
zuvor die Göttin gerufen haben.
Wessen Stimme erklingt, das ist
ganz gleichgültig, denn in dem
GOTT
Moment der Anrufung ist es die
Stimme des ganzen Kreises, die
Stimme des Kosmos, die einzige
Stimme, die existiert im Dunkel
und deren Worte das sind, was
wir alle in dem Moment denken,
fühlen, erleben.
In der entstehenden Pause
merke ich, wie mich die leichte
Trance wieder verläßt. Ich weiß
nun genau, daß die Hände, deren
lockeren Griff ich spüre, zu
Lilith und zu Morgaine gehören
und daß nach Cay Morgaine mit
der Anrufung dran sein wird. Da
höre ich bereits ihre leise,
warme Stimme: "Ich grüße Dich,
Gehörnter Gott..."
Der Gott ist gehörnt im
Hexenkult der Wiccas. Er ist es
nicht immer, aber oft. Er hat
viele Gesichter, viele Gestal-
ten, viele Namen. Häufig heißt
er Pan oder Cernunnos nach ge-
hörnten Göttern des Altertums,
obwohl er genausogut Freyr,
Uller, Lug, Saturn oder Krishna
genannt werden könnte. Es ist
schwierig, einem Außenstehenden
etwas von seinem vielseitigen
Wesen verständlich zu machen. Er
entzieht sich der Erklärung mit
satyrhaftem Lachen und offen-
bahrt sich der Empfindung, spot-
tend wie Mephistopheles, denn
die Empfindung sieht ihn, aber
sie ist stumm.
N
q
$
3
N
IR
So tastet sich der Logiker
in mir anhand von Bildern, Asso-
ziationen, Visionen in dieses
Minotauros-Labyrinth hinab. Ich
weiß, daß Hexen selten Dogmati-
ker sind. Der Gehörnte ist eine
Kraft, und im Ritual verwenden
Hexen alle Götternamen, die sie
mit dieser Kraft identifizieren
können. Diese Kraft wird als
männlich empfunden wie die Kraft
der Großen Göttin als weiblich
gilt. Und genauso, wie die Große
Göttin alle Aspekte der Weib-
lichkeit in sich vereinigt,
spiegelt der Gehörnte alle Er-
scheinungsformen des Mannes wie-
der: Kind, Greis, Jüngling, Ge-
liebter, Bruder, Vater, Tänzer,
Jäger, Opfer, Beschützer usw.
Dennoch werden bestimmte
Aspekte des Männlichen stärker
bei ihm betont als andere. Er
hat z.B. eine deutliche
Beziehung zu allem, was
gehörnt ist. Er wird oft
als Jäger (aber auch als
das Jagdwild selbst),
als Herr der Wälder, der
Natur verstanden. Er
gilt selbst als wild,
triebhaft, mit dem
Rausch und mit der Frei-
heit verbunden. Er be-
freit das Bewußtsein in
der Ekstase von allen
Fesseln. Er vermittelt
neue Erfahrungen, er
weiht ein in die Myste-
rien. Er ist verbunden
mit dem Rad des Jahres, er ist
das Sonnenkind, der Erntekönig
und der Sterbende Gott. So wird
er selber zum Herrn des Todes,
dem Unterweltskönig und Führer
der Geisterreiter. Als Herr des
Todes ist er unlösbar mit dem
Orgasmus (dem "kleinen Tod"),
der Lust, der Zeugung, ja sogar
dem Leben einerseits, mit der
Einweihung in tiefe Geheimnisse,
dem Tod des Alten Ichs und der
Geburt des Neuen Ichs, der reli-
giösen Ekstase und der Weisheit
andererseits verbunden. Er ist
ein Kreis von Assoziationen ohne
Ende und zugleich ein unüber-
blickbares Netz von Querverbin-
dungen. Der Logiker in mir ist
geschafft und zieht sich grau-
send an die Oberfläche zurück.
Vielleicht begreife/ergrei-
fe ich mehr von Ihm, wenn ich
mir Seine früheren Inkarnationen
anschaue.
Als erstes begegne ich Ba-
phomet. Auf dem inzwischen klas-
sisch gewordenen Kupferstich von
Eliphas Levi (*1) hat er den
Kopf eines Ziegenbocks, männli-
che Schultern und Arme, weibli-
che Brüste und schwarze Schwin-
gen. Zwischen seinen Ziegen-
beinen ragt als Phallus ein
Hermes-Stab empor und auf seiner
Stirn lodert eine Fackel. Seine
Linke weist in die Tiefe, auf
eine schwarze Mondsichel und
trägt die Tätowierung "Coagula"
(von lat. "cogere" =sammeln,
zwingen), seine Rechte zeigt in
die Höhe, auf eine weiße Mond-
"Solve" (von "solvere" =lösen).
Auf seiner Stirn ist ein Penta-
gramm.
Für Levi scheint Baphomet
ein Symbol für die kosmische
Ganzheit oder die Vereinigung
der Gegensätze (Mensch/Tier,
Frau/Mann, Sammeln/Lösen, Oben-
/Unten, Hell/Dunkel, Hermes-Stab
mit den beiden, ihn umwindenden
Schlangen) gewesen zu sein, aber
dadurch auch für Weisheit und
Erkenntnis stehend (Flügel, Pen-
tagramm, Fackel, Hermes als Gott
der Einweihung). Auf dem Bild
scheint der Ziegenkopf zu lä-
cheln, seine Augen jedoch sind
konzentriert. Der Gehörnte kann
ein neckischer Spaßmacher sein,
aber begehe nie den Fehler, ihn
zu unterschätzen!
Baphomet... woher kommt er
eigentlich, dieser Gott, Dämon
oder was immer er ist? Für Levi
war er identisch mit dem Bock,
den die Hexen im Mittelalter auf
ihren Sabbaten umtanzt haben
sollen, aber eigentlich taucht
sein Name das erste Mal im Zu-
sammenhang mit einer der angese-
hensten Institutionen der Kirche
auf - dem Templerorden.
Dieser Mönchsorden für Rit-
ter wurde im Gefolge des ersten
Kreuzzuges nach Palästina 1119
u.Z. gegründet. Wie andere Rit-
terorden (der Johanniter- bzw.
Malteserorden und der Deutsch-
ritterorden) nahm er sehr rasch
an Reichtum und Macht zu, was
dem König von Frankreich - in
seinem Staatsgebiet hatte der
Orden seinen Sitz und größten
Einfluß - bald ein Dorn im Auge
war. Hinzu kam, daß der franzö-
sische König in einer schlimmen
finanziellen Misere steckte und
die großen Besitztümer der Temp-
ler ihn lockten. Also wurde der
Orden der Ketzerei angeklagt,
die Ritter verhaftet und ver-
hört. Nach sieben Prozeßjahren
hob der Papst 1312u.Z. den Orden
auf und seine Führungsspitze
wurde exekutiert.
Die Verhöre konzentrierten
sich hauptsächlich auf die Auf -
nahmeriten, bei denen der Novize
auf Mund, Nabel und Rückrat
geküßt wurde bzw. den ihn Ein-
weihenden auf das Gesäß küßte.
Danach sollte der Novize
Christus abschwören, auf einem
Kruzifix herumtreten und ein
bärtiges Haupt aus kostbarem
Metall wurde auf den Altar ge-
stellt. Um dieses lag eine weiße
Schnur, mit der sich der Einge-
weihte von nun an unter seiner
Kleidung gürten sollte. Das bär-
tige Haupt (in den Protokollen
oft als "Haupt des Baphomet"
bezeichnet) tauchte noch bei
anderen Ordensversammlungen auf
und wurde dabei verehrt. Einige
Tempelritter hatte es so
beeindruckt, daß sie bei seinem
Anblick zitterten und sich ver-
wirrt fühlten.
Natürlich ist der Wert die-
ser Aussagen stark dadurch ge-
mindert, daß sie unter Zwang;
möglicherweise unter Folterung
entstanden. Dennoch wirken sie
untereinander SO individuell,
daß das Körnchen Wahrheit in
ihnen stark wahrscheinlich wird,
zumal das ganze Ritual einen
inneren Sinn aufweist. Da dieses
bereits an anderer Stelle aus-
führlich interpretiert wurde
(*2), will ich mich hier nur auf
das Haupt konzentrieren. Es ist
ungehörnt und dennoch hat Levi
recht, wenn er es mit dem Sab-
bat-Bock gleichsetzt: Es reprä-
sentiert die männliche Kraft
schlechthin, jenseits des Dua-
lismus von hell und dunkel, gut
und böse. Von diesem Dualismus
sagten sich die Templer los,
indem sie Christus, den Reprä-
sentanten des Einseitig-Lichten,
zerstörten und sich einer
ursprünglicheren Gestalt zuwand-
ten. Zugleich waren sie selber
fixiert auf das Männliche, wie
ihre homophilen Aufnahmeriten
zeigen (angeblich sollen sexUu-
elle Kontakte der Tempelritter
untereinander gestattet gewesen
sein) (*3).
Von Levis "Baphomet" aus
geht also nicht nur ein Strang
zurück in die Zeit, zu dem Ba-
phomet der Tempelritter, sondern
ein zweiter führt uns zum Bock
des Hexensabbats, wie er uns
während der Hexenjagden des 16.
und 17.Jahrhunderts entgegen-
tritt. Leider bleibt uns auch
hier nichts anderes übrig, als
auf die Schriften der Verfolger
zurückzugreifen, denn die Hexen
selbst waren des Lesens und
Schreibens nicht mächtig und
studierte Gegner der Hexenver-
folaungen (Ärzte, Theologen und
Juristen) konnten trotz aller
Kritik an den Praktiken den
Boden der christlichen Lehre
niemals verlassen. So wissen wir
nicht, wieviel bei den erfolter-
ten "Geständnissen" versteckte
heidnische Wahrheit und wieviel
pure Erfindung der Hexenjäger
ist - oder wieviel sogar
auf Halluzinationen durch
Drogen (die sogenannten
"Flugsalben" der Hexen)
zurückgeht. Wir können
auch nicht die bequeme
Anschauung mancher moder-
ner Hexen teilen, die
alle angenehmen Momente
des Sabbats (Tänze, Lie-
besorgien, Anbetung des
Gehörnten bzw. von Göt-
tern usw.) als wahr und
10
die Kehrseiten der Schilderungen
(Giftmischereien, Kindesmorde,
verschiedene fetischistische Ab-
artigkeiten usw.) als erlogen
ansehen. Hlir müssen einfach
zugeben, daß wir es nicht wis-
sen. Die erpreßten Beschreibun-
gen des Hexensabbats lassen sich
ebensoqut aus der Sicht alter
heidnischer Bräuche interpretie-
ren, wie es möglich ist, ihn aus
all jenen \lahnvorstellungen
heraus zu erklären, die beziig-
lich Ketzerei innerhalb von
Jahrhunderten in der Kirche
hochgewuchert waren (*4).
Darum begrüßt uns auch der
Sabbatbock dieser Zeit in einem
Zwielicht, in dem wir nicht
erkennen können, ob ein verzerrt
gezeichneter Waldgott oder Luzi-
fer vor uns sitzt (wobei letzte-
rer selbst die Verzerrung alter
Götter ist, wie wir noch sehen
werden). Er empfängt uns inmit-
ten des wüsten Treibens der
nächtlichen Hexenversamnlung auf
einem goldenen oder schwarzen
Stuhl. Aus seinem Kopf ragen
drei große Hörner (manchmal auch
mehr, manchmal nur zwei), deren
mittleres leuchtet, heller noch
als das Licht des Mondes. Sein
Körper ist halb der eines Men-
schen, halb der eines Ziegen-
bocks. Gelegentlich zeigt er
sich ganz und gar als Bock oder
als schwarzer bzw. schwarzge-
kleideter Mann, der oft noch
einige Bocksattribute (Hörner,
gespaltene Hufe als Füße,
Schwanz) besitzt. Besonders,
wenn er nicht als Herr des Sab-
bats, sondern als nächtlicher
Liebhaber der Hexen auftritt,
überwiegen die menschlichen At-
tribute. In Bocksgestalt trägt
er Hexen zum Sabbat, wenn sie
nicht auf Besen, Heugabeln oder
ohne Hilfsmittel fliegen, in
Bocksgestalt ist er auf den
Hostien dargestellt, die bei der
Verhöhnung der christlichen
Messe verwendet werden. Auch
anderes antichristliches Tun
wird ihm zugeschrieben: Er for-
dert vom Neuling, daß dieser dem
christlichen Glauben abschwört
und den Teufel anbetet, läßt
sich von seinen Anhängern auf
die linke Hand, die Brust, das
Glied und den After küssen, hält
Schwarze Messen (Umkehrungen des
christlich-katholischen Ritus),
ermuntert die Versammelten dazu,
den Christen möglichst viel Bos-
heiten und Schaden zuzufügen,
läßt sich Geld, Brot, Eier und
andere Dinge opfern und treibt
Geschlechtsverkehr mit Frauen
und Männern auf alle nur erdenk-
liche Arten.
Wie bereits erwähnt wissen
wir nicht, wieviel von solchen
(besonders letzteren) Schilde-
rungen der lüsternen Phantasie
lebenslang in ihrem Sexualtrieb
unterdrückter Mönche entsprang,
sie bleiben aber im Bereich der
Möglichkeit. Schon aus der
Antike wissen wir von bestimmten
Festtagen, an denen die starre
Gesellschaftsordnung aufgehoben
wurde und alle Tabus erlaubt
waren. Wenn in den erfolterten
Berichten also immer wieder In-
11
zest, Homosexualität, Sadomaso-
chismus usw. auftauchen, dann
könnte das auf ein Fortleben
dieses Rrauchs unter der einfa-
chen Bevölkerung hindeuten, auf
ein gelegentliches Ausbrechen
aus dem Joch sozialer und sexu-
eller Unterdrückung (und wer
kennt nicht die Parallelen aus
dem heutigen Faschingsbrauchtum,
zu dem sexuelle Freizügigkeit
ebenso dazugehört wie närrisches
Sich-lustig-machen über Re-
spektspersonen?).
Darüberhinaus ist der Bock
an sich bereits ein Symbol der
Fruchtbarkeit und Triebhaftig-
keit. Seine Hörner (die bei kaum
einer Teufels-Narstellung fehlen
dürfen) erinnern an den Phallus,
zugleich symbolisieren sie als
Waffen selbstbewußte, souveräne
Kraft. Der Ziegenbock gilt als
unermüdlich in seinem Fortpflan-
zungstrieb und als wild, sprung-
haft, unberechenbar. Wir werden
diese \esenszüge noch in Göttern
wie Pan oder Dionysos wiederfin-
den, an dieser Stelle genügt uns
die Vorstellung, wie ein solches
12
Wesen auf einen einseitig ver-
aeistigten, Erotik und Lust an
der Erotik als Sünde betrachten-
den Juden bzw. Christen gewirkt
haben muß: ein Sinnbild der
Verworfenheit!
Beteten die Hexen des Mit-
telalters einen Gehörnten Gott
an oder nicht - daß der Bock ‚als
Teufelsgestalt herhalten mußte,
war von vorneherein eine von den
Inquisitoren beschlossene Sache.
Möglicherweise verdrängte er
dabei die Große Gättin, die
moderne Nexen anbeben. Fine
weibliche Gegenspielerin Jahwes
paßte nicht so gut in das Welt-
bild der Pfaffen, in dem zwar
Frauen Gefäß für alle Sünden
sein mußten (90% der hingerich-
teten Hexen waren Frauen!), eine
dominante Rolle jedoch sogar bei
der "Gegenpartei" ausgeschlossen
war. Das einzige, was in diese
Richtung weist, ist die "Königin
des Hexensabbats", die in man-
chen Protokollen erwähnt wird,
eine erwählte Hexe, die neben
Satan auf einem Thron sitzt.
Alles andere bleibt im Dunkel
der Geheimnisse, des Schweigens,
der Lügen und Verdrehungen.
Wenn die Hexen damals -
oder einige von ihnen, wir müs-
sen regionale Unterschiede immer
im Auge behalten, es hat ja nie
eine allgemeine, in sich ge-
schloßene Heiden- oder Hexenre-
ligion gegeben! - einen Gehörn-
ten anbeteten, dann haben sich
eventuell einige Bruchstücke
dieser Religion in Form von
Sagen und Legenden erhalten. Wir
wollen dieser Frage in der näch-
sten Ausgabe des HAINs nach-
gehen...
Michael Frantz
Anmerkungen:
(*1) Eliphas Levi war ein
französischer Magier (1810 -
1875). Der Stich erschien das
erste Mal in seinem Buch "Trans-
cendental Magic".
(*2) Gerhard Zacharias geht
in "Satanskult und Schwarze Mes-
se" (1979, Herbig) auf den Sei-
ten 103-105 auf die Symboliken
des Kusses, der Kreuz-Zerstö-
rung, des Haupts und des Gürtels
ein. Ich möchte dazu nur anmer-
ken, daß die Symbolik des Gür-
tels als "Kraft-Speicher" weit
verbreitet ist und heutige Hexen
oft eine ähnliche Schnur auf
ihrem Körper tragen und daß
ebenfalls häufig die Symbolik
des Kopfes als Lebenszentrum,
Kraft-Zentrum, Zentrum magischer
Macht angetroffen wird (Mimirs-
Sage in der Edda, Schädelkult
der Kelten, Kopf jagd im Pazifik,
der Brauch, aus der Hirnschale
eines Feindes zu trinken: der-
artige Kelche aus Hirnschalen
wurden noch beim kirchlichen
Johannes-Fest im Mittelalter
verwendet).
(*3) Um die innere, geheime
Lehre der Tempelritter ranken
sich seit Zerschlagung des ÜUr-
dens zahlreiche Gerüchte und
Legenden und es gibt wohl kaum
eine mystisch-esoterische Ge-
sellschaft, die nicht behauptet,
direkt oder indirekt von den
Templern abzustammen (Freimau-
rer, Rosenkreuzer, 0.T.0., der
ariosophische 0.N.T., um nur die
bekanntesten zu nennen).
(*4) Historische Belege für
Hexen-Versammlungen habe ich
leider - außer besagten "Ge-
ständnissen" - nicht finden kön-
nen (HAIN-Leser, die zu diesem
Thema etwas beitragen können,
bitte ich um Mitarbeit!). Was
die Existenz von Hexen und Zau-
berern angeht, so bemerkt der
Anthropologe Max Marwick dazu
treffend: "Die Gesetze (der
christianisierten Germanen) wim-
meln von Maßnahmen gegen Zaube-
rer". Das spanische Gesetzeswerk
"Fuero Juzgo" spricht von jenen,
die "nachts dem Teufel opfern",
13
und die Synode von Liftinae 743
Ueli verurteilt den Glauben,
"daß Frauen den Mond bezaubern"
(nach anderer Lesart: die
"Meinung, als beschwören die
Weiber den Mond"). Überhaupt
sind die Beschlüßse jener Kir-
chenversammlung eine Fundgrube
nicht nur alter heidnischer
Bräuche und Vorstellungen, son-
dern auch von Aussagen über das
germanische Zauberer- und Hexen-
lesen (kommentierte Ausgaben:
Franz Widlak: "Die abergläubi.-
schen und heidnischen Gebräuche
der alten Deutschen", Armanen-
Verlag; Anton J. Binterim: "Von
dem Aberglauben der deutschen
Christen im Mittelalter", 1977
Asgard-Edition der Arbeitsge-
meinschaft für Neligions- und
Weltanschauungsfragen).
14
Eigenwille
Ich folgte über'n Gartenzaun
mit meinem Blick ner Fliege.
Da sah ich Nachbars Lindenbaum,
beschnitten war'n die Triebe.
Da dacht! ich:
Der Nachbar weiss wohl kaum
was über wahre Naturliebe,
denn der Baum hält eh nicht
stild,
bringt Jahr für Jahr neue
Triebe.
Martin Coleman
MEDITATION
Trete aus der Welt des Lärmens
und der äußeren Sinne in
die Stille des Inneren
Universums der Stimme
Deines Herzens betrachte schwei-
gend
geöffnet die Bilder deiner Seele
deren Geist im Universum ist
Kehre zurück in die Welt der
Sinne des brandenden Lebenslärm
Sehe, verstehe und tue
was du zu tun hast mit der Kraft
Deines Herzens und der Schönheit
deiner grenzenlosen Seele
die da frei atmet im Weltenhauch
Rudolf A. Goldmann
Die Göttin
der Morgenröte
Aus den wirren, hekti-
schen Träumen einer unruhigen
Nacht erwache ich mit noch
halbbetäubtem Schädel, während
ich, mich in meinem Bett wum-
herwälzend, langsam das Be-
wußtsein meines Körpers zu-
rückerlange. Ich erhebe den
Kopf aus der Tiefe der Kissen
und luge vorsichtig über den
Rand meiner Bettdecke. Ge-
blendet zucke ich etwas
zuriick, als ich den Glanz des
rötlich-golden erleuchteten
Himmels erblicke. Unbarmherzig
dringt das Licht des östlichen
Himmels durch das Fenster des
Zimmers in meine Augen, gießt
die Kraft seiner Strahlen in
mein verschlafenes, dumpfes
und noch etwas mürrisches Ge-
sicht. Aber diese Sinfonie aus
Licht und Farben scheint in
mir eine Kraft entzündet zu
haben, die mich herausreißt aus
dem Meer des Unbewußten, in dem
ich nächtlich umhertauchte und
schwamm. Plötzlich tauchen in
meinen Geist Bilder von Plänen
für den kommenden Tag auf - und
alle Muskeln meines Körpers
straffen und spannen sich in
Erwartung kommender Aufgaben,
die meine ganzen Kräfte erfor-
dern. Aufbruch eines neuen
Tages!
So eile ich, aus dem Bett
springend, zum Altar der Sonne
am östlichen Fenster. Ich danke
der Göttin Morgenröte, daß sie
mit ihrer Fackel meine Seele
entflammt hat. Dann harre ich am
Altar des Aufsteigens jenes
Gottes, dem sie vorangeschritten
ist.
Das hier geschilderte,
durchaus alltägliche Erlebnis
spiegelt sich in vielen Phasen
des Lebens im Reich der Natur-
kräfte und des Menschen wieder.
15
0b wir an die Erneuerung des
Lebens der Erde im Frühling
denken, an den Beginn einer
neuen geschichtlichen Epoche,
die durch eine Revolution einge-
leitet wurde - oder auch den
Neuanfang eines Menschen, der
nach seiner lInitiation sein
Leben umgestaltet - stets ist es
die lebendige Kraft einer
Göttin, die von allen Völkern
des Altertums verehrt und ge-
liebt wurde. Als antreibende
<raft des aufsteigenden Lebens,
der neu entstehenden Bewußtheit
nach langer Nacht, war sie
immerhin so bedeutsam, daß sie
nahezu alle Strukturwandlungen
der mythologischen Systeme im
eurasischen Raum überstanden
hat. So hat selbst die ausge-
sprochen patriarchalische alt-
indische Religion an der Ver-
ehrung der Göttin festgehalten,
die im 300N-4000 Jahre alten
Rigveda als USRA bzw. in der
Mehrzahl als USHAS (=die Morgen-
röten) angesprochen wird. In
mehr als 20 Hymnen verklären sie
die rigvedischen Sänger als
"Himmelstochter, Jungfrau, röt-
lich stahlende Göttin", als
"Schimmernde", die dem Anbeten-
den ihre Schönheit enthüllt, mit
ihren roten Kühen Feindschaft
und Finsternis vertreibt.
Auch die Litauer, deren
Sprache manche Ähnlichkeit mit
dem altindischen Sanskrit auf-
zuweisen hat, verehrten eine
NM N.
j
Göttin namens AUSZRA.
Die alten llienden hatten in
der Stadt Jüterbog südlich von
Berlin einen Tempel für die
Göttin errichtet, der noch Mitte
des 16. Jahrhunderts gestanden
haben soll.
Bei den Römern ist es die
AURORA, die genau der griechi-
schen EOS entspricht. Von der
innigen Beziehung des griechi-
schen Menschen zur Göttin der
Morgenräte künden uns die orphi-
schen Hymnen aus dem 6.Jhdt. vor
der Zeitenwende, im denen sie
als "strahlenglänzende EOS" und
"Tempelhüterin des Lebens" ge-
priesen wird. Man dankt ihr, daß
sie "dein sterblichen Sein ein
tätiges Leben gibt" und bittet
sie um Mehrung des heiligen
Lichtes. In der Symbolik des
griechischen Mythos öffnet sie
dem Sonnengott mit Rosenfingern
die goldene Pforte und streut
Rosen auf seinen Weg. Für Homer
ist sie die "Göttin auf goldenem
Thron", "die Frühgeborene", "die
draußen am Rande der Welt wohnt"
(homerische Hymnen).
Gewisse Parallelen zu die-
ser Göttin gibt es auch in den
orientalischen Mythen der Kana-
aniter, wo sie uns unter dem
Namen ASTARTE begegnet. In der
mittelalterlichen Dämonologie
taucht vermutlich die gleiche
Gottheit als der hermaphrodi-
tische Dämon ASTAROTH auf. Bei
den Babyloniern und Sumerern
wurde sie als ISHTAR verehrt.
Aus all diesen verschiede-
nen Namensformen hat Paul Herr-
mann eine indogermanische
Grundform erschlossen, die AUS0OS
oder AUSRO lauten würde.
Aus welchen Quellen ist uns
nun diese Göttin als mytholo-
gische Gestalt der altgermani-
schen Religion bekannt?
Nun, es war der angelsäch-
sische Mönch Beda Venerabilis
(674-735), der in seiner Schrift
"De temporum ratione", c.13 eine
Göttin erwähnt, die für die
Namensgebung des Monats April
(Esturmonath oder Eosturmonath)
bei den Angelsachsen verantwort-
lich sei. Er führt dabei folgen-
de Namensformen für die Göttin
auf: "Eostra, Eostrae, Eostre",
Jakob Grimm hat in seiner "Deut-
schen Mythologie" aus diesen
Angaben zu Recht den Schluß
gezogen, daß der althochdeutsche
Name des Osterfestes, Ostarun,
dieser Göttin seinen Ursprung
verdankt. Der von ihm daraus
erschlossene Name OSTARA ist
jedoch insofern eine hypothe-
tische philologische Konstruk-
tion. Dies muß leider mit aller
Deutlichkeit festgestellt wer-
den, auch wenn der Gottesname
0OSTARA im populären heidnischen
Schrifttum immer wieder mit
ungeprüfter Selbstverständlich-
keit aufgeführt wird. Denken wir
dabei auch an die englische
Bezeichnung für das ÜUsterfest:
Eastre oder Easter.
Hierbei stoßen wir natür-
lich auch auf die Tatsache, daß
die Göttin in der Edda nament-
lich nicht erwähnt wird. Auch
das Fehlen anderer schriftlicher
Quellen verleitete manche Reli-
gionsforscher zu der Annahme,
daß eine Göttin OSTARA, wie bei
Grimm behauptet, nur eine Fik-
tion sei.
Wir treffen aber in der
Edda auf eine Göttin der Liebe,
der Schönheit und des Kampfes -
und dies ist ein weiterer
Schlüssel zum Wesen der Göttin
der Morgenröte. Denn FREYA ist
identisch mit der antiken VENUS-
APHRODITE, die zugleich als
Morgenstern (nämlich der Planet
Venus!) verehrt wurde. Die Mor-
genstunde als Zeitpunkt des er-
sten Lichtes und der Erleuchtung
ist aber ein entscheidendes
Kennzeichen beider Göttinnen
(EOS und APHRODITE). Dies wurde
in einem konkreten Attribut in
den Beschreibungen und Darstel-
lungen der Aphrodite immer
wieder zum Ausdruck gebracht:
Der Fackel, bzw. einem Fackel-
paar. Fbenso heißt es auch im
"Pervigilium Veneris", einer
Gebetshymne des Aphrodite-Venus-
Heiligtums von Eryx (Nordwest-
sizilien): "Der Morgenstern mit
dem Fackelpaar verfolgt den
fliehenden Wagen, doppelte
Gottheit, die wir Stern nennen
und Genius der Aphrodite, und es
begleiten ihn die Schwestern,
welche an die Vergangenheit die
Zukunft binden. Die erhobene
Rechte erleuchtet den Abstieg
der Nacht; die Fackel der Linken
ergießt sterbend das Licht der
Morgenrüöte in aufsteigender
Glut, Fackelträgerin des Sonnen-
onttes, wmgürtet von seinem
Schimmer!"
Die babylonische ISHTAR
wird in einem Hymnus als
"Leuchtende Fackel Himmels und
der Erde, Licht aller Lande" und
als "Feuerbrand, der gegen die
Feinde aufleuchtet" bezeichnet.
Aus all diesen Zusammen-
hängen wird deutlich, daß die
Göttin der Morgenröte ein Aspekt
(Tochter oder vielleicht Inkar-
nation) jener Göttin, ist, die
18
wir unter dem Namenszusammenhang
FREYA-VENUS-APHRODITE kennen.
Aber eben nur ein bestimmter
Aspekt, nämlich der des aufstei-
genden Lichtes, während ihr an-
derer Aspekt, der Abendstern,
die Rückkehr des Lichtimpulses
in die Welt der Nacht ankündigt.
Die Parallele zwischen
germanischer und antiker Mytho-
logie wird noch überaus deut-
licher, wenn wir ihre Beziehung
zum Sonnengott betrachten, mit
dessen Erscheinung sie ja im
Tageslauf eng verbunden ist.
FREYA ist Schwester und zugleich
auch Gemahlin des Sonnengottes
FREYR. Ebenso eng verbunden ist
AURORA-ENDS dem Sonnengott, sie
läuft vor seinem Wagen, verkün-
det sein Kommen. EOS war die
Schwester des HELIOS.
vr AU,
Sr,
‚ A AN Pir\
} x
ke
Hier schließen sich die Vegetation. Im Tierkreis steht
Kreise der Mythen und wir kehren an dieser Stelle im Jahreskreis-
wieder zurück zur Stellung der lauf der Widder, vermutlich als
"EOSTRAE" (OSTARA) im heiligen Sinnbild eines gehörnten Urgot-
Rad des Jahres. Sie steht hier tes. Die Wärme der Göttin bringt
am Zeitpunkt der Frühlings-Tag- das letzte Eis des todbringenden
undnachtgleiche: Als Verkünderin Winters zum Schmelzen, dessen
der zunehmenden Lichtfülle, die Wasser wir am Ostermorgen in
von jetzt ab über die Finsternis heiligem Schweigen schöpfen.
dominiert - aber nicht allein Laßt uns eins werden mit der
tritt sie uns entgegen, sondern Göttin, indem wir in der Stunde
in inniger Gemeinschaft mit dem der Morgendämmerung unsere Augen
Lichtgott, mit dem sie sich in gen Osten richten! Und wenn
Fruchtbarkeit ersehnender Lust unsere Lippen die Laute ihrer
verbindet. Ihr zu Ehren feiern heiligen Namen formen, werden
wir deshalb nicht nur die ewigen diese mehr sein als philolo-
Mysterien geschlechtlicher Wonne gische Fossilien vergangener
(Walpurgis), sondern entzünden Kulturen. Aber auch nur dann!
auch die Osterfeuer als Sinnbil-
der der Morgenröte des neuen
Jahres, der fruchtbar werdenden Matthias Wenger
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(erscheint April/Mai 1988)
Geza von Nemenyi
Heidnifche Naturreligion
Altüberlieferte Glaubensvorftellungen, Riten und Bräudıe
Erste Gesamtdarstellung des Heidentums nach den Textquellen,
mit den überlieferten Ritualen. Aus dem Inhalt: Runen,Hexen,
Mythen, Tyrkreis, Jahresfeste, Lebensfeste, Kultmelodien u.a.
Johanna Bohmeier Verlag
Breite Str. 65 3134 Bergen a.d. Dumme Ruf: 05845/244
19
HEXENSALBEN
Legende oder Wirklichkeit
Obwohl schon viel über die
Wirkung von sogenannten Hexen-
salben oder Flugsalben geschrie-
ben wurde - angefangen bei den
Protokollen der Hexenprozesse
bis zu manchem alternativen
Kräuterbuch - ist mir keine au-
thentische Rezeptur für solche
Salben bekannt geworden. Die
wenigen Vorschriften, die bis
heute überliefert sind, sind
entweder unvollständig - insbe-
sondere in Bezug auf die Mengen-
angaben - oder aber im Lauf der
Zeit so mit Beschwörungsformeln
und "unsinnigen" Zutaten ausge-
schmückt worden, daß der eigent-
liche Inhalt nicht mehr zu re-
konstruieren ist. Allerdings
sind auch die Beschwörungen für
die Wirkung der Salbe wichtig,
um den Anwender in eine entspre-
chende Stimmung zu versetzen,
denn sonst schlägt die halluzi-
nogene Wirkung leicht zu einem
"Horrortrip" um.
Allerdings ist man nicht
nur auf Spekulationen angewie-
sen, wenn es um die Zusammenset-
zung von Hexensalben geht. Viele
Pflanzen enthalten Stoffe, die
die Psyche oder die Wahrnehmung
des Menschen beeinflussen kön-
nen.
20
Die wohl wichtigste Pflan-
zengruppe, deren Mitglieder in
Hexensalben verwendet werden,
ist die Gruppe der Nachtschat-
tengewächse (Solanaceae). Beson-
ders wichtig für die Wirkung
sind die sogenannten Tropanal-
kaloides L-Hyoscyamin, Atropin
(DL-Hyoscyamin) und Scopolamin.
In niedrigen Dosierungen bewir-
ken diese Alkaloide Mundtrocken-
heit. Die Pupillen werden erwei-
tert, weshalb z.B. Tollkirschen-
zubereitungen schon in der Anti-
ke von Frauen verwendet wurden
(der lateinische Beiname der
Tollkirsche bella-donna bedeutet
schöne Frau). In höherer Dosie-
rung treten Wirkungen auf das
zentrale Nervensystem in den
Vordergrund. L-Hyoscyamin und
Atropin wirken erregend auf die
Großhirnrinde (vergl. Namensge-
bung Tollkirsche). Symptome sind
Hitzegefühl, Sehstörungen und
Herzrasen. Der Tod tritt bei
Atropinvergiftungen durch Herz-
Kreislauf- und Atmungsversagen
ein. Scopolamin hingegen wirkt
schon in niedriger Dosierung
dämpfend auf das Bewegungssys-
tem. Höhere Dosierungen führen
zu einem tranceähnlichen Däm-
merungszustand, bei dem eine
gewisse Ansprechbarkeit erhalten
bleibt, aber die verstandes-
mäßige Kontrolle der Gedanken
und Handlungen ist beeinträch-
tigt. Wegen dieser Eigenschaft
wird Scopolamin als sogenannte
Wahrheitsdroge eingesetzt. Zu
berücksichtigen ist weiterhin,
daß eine Trennung von Realität
und Illusion in einem solchen
Zustand nicht möglich ist. Auf
diese Weise erlebte Träume kön-
nen durchaus als real empfunden
werden. Ein Hautkribbeln wird
z.B. so empfunden, als ob einem
Fell oder Federn wüchsen. Die
überlieferten "Reiseberichte"
unter dem Einfluß von Hexensal-
ben sind durchaus als besonders
wirklichkeitsnah er-lebte Träume
ernstzunehmen.
Allerdings ist die Dosie-
rungsspanne zwischen den bewußt-
seinserweiternden Wirkungen und
den unerwünschten Vergiftungser-
scheinungen sehr klein. So man-
cher hat den Versuch, Hexen-
salben - seien es überlieferte
oder aus eigener Erfahrung zu-
sammengestellte Rezepturen - an
sich selbst auszuprobieren mit
dem Leben bezahlt.
In Hexensalben wurden mit
großer Wahrscheinlichkeit fol-
gende Nachtschattengewächse ver-
wendet:
Die Tollkirsche
(Atropa bella-donna L.)
Die Tollkirsche wächst am
Waldrand oder in Lichtungen auf
kalkhaltigen, lehmigen Böden.
Dieser bis zu 1,5 m hohe Busch
hat eiförmige, angespitzte,
klebrig behaarte, bis zu 10 cm
lange Blätter. Aus den violet-
ten, glockenförmigen Blüten im
Juli entwickeln sich im Herbst
schwarzglänzende, kirschartige
Beeren.
Alle Teile der Pflanze sind
stark giftig. Die Pflanze ent-
hält in allen Teilen Tropanalka-
loide.. Der Gehalt an diesen
Alkaloiden kann aber bei
Zuchtformen und bei einer \Va-
riante mit gelblichen Blüten und
helleren Beeren weit höher lie-
gen. In den jungen, frischen
Blättern und den unreifen Beeren
herrscht L-Hyoscyamin vor. Dar-
aus entsteht in älteren und
21
aetrockneten Blättern sowie in
den reifen Früchten das nur halb
so wirksame Atropin.
Der Stechapfel
(Datura stramonium L.)
Der Stechapfel ist eine
krautige, bis zu 1 m hohe Pflan-
ze, die an Wegrändern auf sandi-
gen, nährstoffreichen Böden
wächst. Die unteren Blätter wer-
den bis zu 20 cm lang. Pie
Blattform ist eiförmig mit
buchtig gezähntem Rand.Aus den
im August erscheinenden, trope-
tenförmigen, weißlichen Blüten
entstehen charakteristische,
stachlige Früchte mit braun-
schwarzen Samen.
Die Alkaloidzusammensetzung
schwankt je nach Alter und Rei-
fezustand der Pflanzenteile er-
heblich. In jungen Blättern ist
Scopolamin enthalten, in älteren
Pflanzen überwiegen Hyoscyamin
und Atropin.
Das Bilsenkraut
(Hyoscyamus niger L.)
Diese ca. 0,5 m hohe, krau-
tige Pflanze hat eine rübenför-
mige Wurzel. Die leichtgestiel-
ten, schmutbziggrünen Blätter
sind länglich und buchtig ge-
zähnt. Die Blüten im August
haben gewickelte, schmutzigweiße
bis gelbliche Blütenblätter mit
feinen violetten Adern. Aus dem
Blütenkelch entwickelt sich die
Frucht mit vielen schwarzen Sa-
men. Die Pflanze macht insgesamt
gesehen einen ziemlich
"schmutzigen" Eindruck. Als "ty-
pisches Unkraut" wächst Bilsen-
kraut an Wegrändern auf einiger-
maßen nährstoffreichen Sand- und
Lehmböden.
Bilsenkraut
enthält neben
L-Hyoscyamin
auch größere
Mengen (bis
zu 40 Prozent
der Gesamtal-
kaloide) Sco-
polamin. Da-
durch tritt
} bei der Wir-
kung der zen-
tral beruhi-
gende Efekt
in den Vor-
dergrund.
Deshalb wurden Bilsenkrautzube-
reitungen oft Bieren zugesetzt,
um "schwache" Biere in der
Wirkung zu verstärken.
Die Alraune
(Mandragora officinarum L.)
Seit Menschengedenken wird
die Alraune für eine der zauber-
kräftigsten Pflanzen gehalten.
Das liegt wohl an der Gestalt
ihrer Wurzel, die unter gewissen
Umständen recht menschenähnlich
sein kann. Über die Alraune als
Zauberpflanze wird in einer der
nächsten Ausgaben einen eigenen
Artikel geben. Da die Alraune im
Mittelmeerraum heimisch ist, ist
es nicht sicher, ob ihre Wurzel
auch als Bestandteil von Hexen-
salben Verwendung fand. Aller-
dings sprechen gewisse Anzeichen
dafür, daß diese Pflanze im
späten Mittelalter auch in der
Schweiz und in Süddeutschland
vorkam. Auf jeden Fall war der
Bekanntheitsgrad der Pflanze so
groß, daß es durchaus möglich
ist, daß sie für Hexensalben
verwendet wurde, wegen ihres
sehr hohen Preises aber sicher
nicht als Hauptbestandteil.
Die Alraune ist eine sten-
gellose, krautige Pflanze mit
bis zu 20cm langen, fleischigen,
gerippten Blättern. Die violet-
ten, glockenförmigen Blüten ste-
hen in der Mitte der Blattroset-
te. Die Früchte ähneln unreifen
Tomaten.
Neben den Nachtschattenge-
wächsen spielen auch andere
Pflanzen eine wichtige Rolle bei
der Zusammensetzung von Hexen-
salben. Alle hier aufzuzählen,
würde den Rahmen dieses Artikels
sprengen. Deshalb wird die Aus-
wahl auf eine Pflanze be-
schränkt, bei der charakteristi-
sche Inhaltsstoffe eine Verwen-
dung in Hexensalben plausibel
erscheinen lassen.
Der blaue Eisenhut
(Aconitum napellus L.)
Der blaue Eisenhut, auch
Sturm-hut genannt, gehört - bo-
tanisch gesehen - zu der Gruppe
der Hahnenfußgewächse. Die
Pflanze wird bis zu1 m hoch,
Die Blätter sind 5 - ?geteilt,
tief eingeschnitten. Die blatı-
violetten, helmförmigen Blüten
stehen in dichten Trauben. Der
Eisenhut wächst vornehmlich in
den Gebirgsregionen der Alpen,
kommt aber auch in den Mittelge-
birgen vor. \Jegen seiner schönen
Blütenstände wird der Eisenhut
auch als Zierpflanze in Gärten
angebaut. Der blaue Eisenhut ist
eine der giftigsten Pflanzen in
Mitteleuropa. Schon wenige Gramm
Frischpflanzenteile können zu
tödlichen Vergiftungen führen.
Die wirksamen Alkaloide, Aconi-
tin und Derivate, werden leicht
durch die Haut resorbiert, so
daß selbst Berührungen mit der
Pflanze gefährlich werden kön-
23
nen. Vergiftungen äußern sich
durch Brennen und Kribbeln im
Mund, am Hals und in den Glied-
maßen. Weitere Symptome sind
Schweißausbrücke und Wahrneh-
mungsstörungen wie "Pelzigsein"
der Haut. Bei höherer Dosierung
treten schmerzhaftes Erbrechen
und Durchfall, dann Muskelläh-
mung und starken Schmerzen auf.
Der Tod tritt durch Atemlähmung
oder Herzversagen bei vollem
Bewußtsein ein.
Gerade das "Pelzigsein" der
Haut kann auch das Wachsen eines
Fells oder Federkleids empfunden
werden.
Auch im Tierreich wird man
fündig auf der Suche nach Zuta-
ten für Hexensalben. Als Bei-
spiel sei hier die Erdkröte
(Bufo bufo L.) aufgeführt.
Die Erdkröte ist die größte
Kröte Europas. Weibliche Tiere
können bis zu 20 cm groß werden.
Die Männchen sind nur etwa halb
so groß. Die schleimige Haut der
Erdkröte ist von Warzen bedeckt.
An der Oberseite sind die Tiere
bräunlich gefärbt mit dunkleren
Flecken. Der Bauch ist heller
bis hin zu schmutzigqweiß. Die
Erdkröte ist recht häufig. Über-
all, wo es ein bischen feucht
ist, kann man sie finden.
Der Schleim der Erdkröte
enthält giftige, auf das Herz
wirkende Substanzen, sogenannte
Bufogenine und Bufotoxine.
24
Außerdem enthält der Kröten-
schleim Bufotenin und verwandte
Substanzen, die Bewußtseinsstö-
rungen und Halluzinationen be-
wirken können.
Als Salbengrundlagen wurden
Fette tierischen Ursprungs z.B.
Hammeltalg und Schweineschmalz
verwendet. In den Untersuchungs-
protokollen der Hexenprozesse
wird berichtet, daß das Fett
neugeborener Kinder zur Herstel-
lung der Hexensalben benutzt
wurde. Inwieweit diese Berichte
den Tatsachen entsprechen oder
durch Folter bedingte Manifesta-
tionen der krankhaften Phantasie
der Befrager sind, ist heute
nicht mehr zu ergründen.
Auch ist die genaue Zube-
reitungsart der Salben nicht
mehr genau zu rekonstruieren.
Wahrscheinlich wurden unter ge-
heimgehaltenen Beschwörungen die
diversen Zutaten in Gefäßen ge-
schmolzen, die noch flüssige
Salbe durch Tücher abgeseiht und
kaltgerührt.
Zum Schluß dieses Artikels
möchte ich noch einmal die deut-
liche Warnung aussprechen, daß
es lebensgefährlich ist, Salben
aus solch giftigen Pflanzen an-
zuwenden. Schon mancher - sogar
Mediziner - hat seine Neugier
mit dem Leben bezahlen müssen,
da der Abstand zwischen der
"gewünschten" Wirkung und der
Vergiftung sehr gering ist.
Henri Schladitz
.
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DER HAIN erscheint viertel jähr-
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Tagundnachtgleichen (März, Juni,
September, Dezember). Er er-
scheint in verschiedenen Buchlä-
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weitergeholfen haben.
Michael Frantz
Schubartstr.5
D-1000 Berlin 27
Tel.: 03N/432 94 48
DER BERSERKER
Eine Fantasy-Geschichte in Fort-
setzungen. Von Michael Frantz.
Teil 2.
Zusammenfassung des 1.Teils:
Wulfgar, ein wandernder Krieger,
schließt sich auf seinem Weg dem
Zug der Prinzessin Irmgard an.
Unterwegs kehren sie in einem
einsamen Gasthof ein, in dem
Wulfgar auf einen Reisenden aus
dem fernen Land Attika trifft.
Sofort verbindet beide eine un-
erklärliche Feindschaft mitein-
ander. \lulfgar verhindert einen
Kampf, indem er einen Rückzieher
macht.
"Nanu, Meister Wulfgar,"
wunderte sich der Barde, als
Wulfgar mit einem Mal wieder in
der Tür stand, bleich im Gesicht
und zugleich aus vollem Halse
lachend. "Wer ist Euch denn
begegnet?"
"lie - wie kommst Du da-
rauf?" stotterte der Krieger. In
seinen Gedanken und Gefühlen
tobte ein wildes Durcheinander.
"Ihr seht so aus."
"Nein, mir ist niemand be-
gegnet ." Jetzt hatte sich
Wulfgar wieder in der Gewalt.
"Es ist mir nur gerade etwas
eingefallen... Aber das geht
dich nichts an!"
Gunnar zuckte
mit den Schultern
und wandte sich wie-
der seiner Arbeit
zu. Es war offen-
sichtlich, daß er
Wulfgar kein Wort
aeglaubt hatte. Der
Krieger starrte auf
den mageren Rücken
des Jünglings. Der
Barde mochte viel-
leicht vierzehn Som-
mer zählen, aber er
hatte die Stimme
eines Erwachsenen.
Frühreife Knaben wie
Gunnar hatte Wulfgar
eher in den Elends-
vierteln Koronars gesehen als
auf der'Landstraße.
Auch Isa war in ihre Arbeit
vertieft. Eigentlich hatte sie
bei Wulfgars Eintreten nur kurz
aufgeblickt und sich dann wieder
auf die Kleider der Prinzessin
konzentriert, die sie zwei
Truhen entnahm, auf dem Bett
ausbreitete, glattstrich und
wieder zusammenlegte. \lulfgar
beobachtete, mit welcher Sorg-
falt sie dabei vorging. Im
Gegensatz zu Gunda war ihre
Lebensblume bereits am Welken
und Ilulfgar nahm an, daß sie
ganz im Dienst an ihrer Herrin
aufging.
"Kann ich helfen?" fragte
er sie.
Sie schaute ihn mit ihren
merkwürdig großen, warmen Augen
an. "Eigentlich nicht. Dafür
sind deine Hände viel zu grob.
Vielleicht hilfst du ihm, er
scheint nicht zurechtzukommen."
Sie blickte in Gunnars Richtung,
der gerade am Kamin hockte und
in die schwelende Glut blies.
"Es geht schon," wehrte
dieser ab, doch Wulfgar kniete
sich schweigend neben ihm hin.
Für ihn als Waldläufer war es
nur ein Kinderspiel und einige
Augenblicke später leckten die
ersten, jungen Flammenzungen
über die aufgeschichteten Holz-
scheite. "So, das hätten wir,"
meinte Wulfgar befriedigt.
"Jetzt kann mich kein Riese und
kein Drache mehr von einem guten
Bier abhalten!"
Isa hatte inzwischen unter
den Kleidern eines gefunden, was
ihr für den Gasthofaufenthalt
der Schwägerin des Königs von
Welten passend erschien, und
ging daran, die anderen wieder
zu verstauen. Wulfgar betrach-
tete das Kleid und sein Anblick
tat ihm weh. Er konnte sich
vorstellen, wie schön Irmgard
darin aussehen mußte, wenn sie
darin ihre Eltern, den König und
die Königin von Stade, besuchte
oder daheim in Welten zur Tafel
schritt. An ihrer Seite war ihr
Gemahl, der jüngere Bruder des
Königs von Welten, zu ihren
Füßen liefen ihre drei kleinen
Kinder und er, Wulfgar, saß
irgendwo draußen mit anderen
Söldnern an einem Lagerfeuer und
träumte von einem Wunder...
In diesem Augenblick poch-
te es an die Tür. Wulfgars Hand
ertastete den beruhigenden Griff
des Jagdmessers. "Aufmachen!"
erklang Gundas Stimme durch das
Holz. Wulfgar sprang an die Tür
und öffnete. Gunda drängte sich
rasch an ihm vorbei, denn mit
ihren Händen hielt sie einen
breiten Bottich, in dem das
Wasser den hölzernen Rand hin-
aufschwappte. Mit einem befrei-
ten Keuchen stellte sie ihn in
der Mitte des Raums ab. "Bist du
fertig?" fragte sie Isa. Die
nickte nur. "Gut, dann können
27
wir die Herrin ja holen!"
Sprachs und schritt an Wulfgar
wieder zur Tür hinaus. Im Vor-
beigehen hatte er ein flüchtiges
Lächeln erhaschen können, dann
war sie entschwunden. Pffenbar
hatte sie ihr Mut von vorhin
wieder verlassen. Da sie hier
nichts mehr zu tun hatten, folg-
ten Wulfgar und Gunnar ihr nach.
Durch den zwielichtigen
Flur gelangten sie an der Hof-
treppe vorbei zum Schankraum.
Schon im Gang brandete ihnen der
Lärm rauher Stimmen, gerückter
Bänke und klirrenden Rüstzeugs
entgegen. Thorichs Reiter fühl-
ten sich offenbar ganz wie zu
Hause. Sie hatten alle Tische
besetzt bis auf drei. Die drei
Männer an dem einen Tisch trugen
saubere, biedere Reisekleidung
und begafften die wilde Horde
mit versteckter Neugier. Offen-
bar handelte es sich um die
Handwerker, welche der Attiker
so abfällig "Flickschuster" ge-
nannt hatte.
Die Männer am Nebentisch
waren gleichfalls zu dritt, aber
ihr Anblick versetzte Wulfgar
einen Schreck. Attiker! Sie
trugen die gleichen weißen Tuni-
ken wie ihr Herr, den gleichen
kurzen Haarschnitt und ihre
dunklen Wangen waren glatt. Die
Gürtel, an denen ihre Dolche
hingen, waren bescheidener und
schmuckloser gearbeitet als der
des Mannes, dem Wulfgar begegnet
28
war. Jedoch wie bei diesem fiel
Wulfgar eine Schlaufe an ihren
Gürteln auf, eine Schlaufe zum
Befestigen eines Schwertgehän-
ges.
Ihr Herr saß nicht bei
ihnen, sondern an der Tafel am
Ende des kleinen Saals, an der
er Irmgard und Thorich Gesell-
schaft leistete. Thorich und der
Fremde waren in ein lebhaftes
Gespräch vertieft, dem Irmgard
höflich zuhörte, während sie
sich von einem Becher Wein er-
frischen ließ. Als Gunda die
Treppe hinablief und zu üihr
trat, erhob sie sich erleichtert
und zog sich mit der Kammerfrau
zurück.
Gunnar hatte sich unterdes-
sen zu den Handwerkern gesellt,
während Wulfgar an Rolfs Tisch
noch einen Platz fand. Ein Mäd-
chen, ungefähr so alt wie
Gunnar, schob ihm eilig einen
Holzbecher zu, bevor sie sich
wieder um die anderen Gäste
kümmerte und in der Küche
verschwand. \Wulfgar hatte sie
bereits von der Hoftreppe aus
gesehen, wie sie neben der Wir-
tin auf dem Boden kniete und
Gemüse schälte.
Nach einiger Zeit kehrte
Irmgard von Welten gebadet und
in dem prächtigen Kleid zurück,
das der Krieger vorhin bereits
bewundert hatte. Doch was war
das Gewand schon ohne seine
Trägerin! Alles erhob sich, als
sie die Treppe herab-
schritt. Wulfgar grüßte
mit einer angedeuteten
Verneigung und sie lächel-
te zurückhaltend, bevor
sie von Thorich und dem
Fremden an der Tafel em-
pfangen wurde. Nun durfte
das Essen aufgetragen wer-
den und Wirt, Wirtin und
das Mädchen hatten alle
Hände voll zu tun, fast
zwei dutzend von schmaler
Reisekost ausgehungerte
Gäste zu befriedigen.
Die edleren Gäste erhielten
Forellen und Eier in verschiede-
nen Zubereitungen, die Soldaten
wurden mit Suppe und einer
scharf gewürzten Hafergrütze
versorgt. Dabei beobachtete
Wulfgar etwas Merkwürdiges. Rolf
brüllte gerade nach einem Nach-
schlag und das Mädchen kam und
. füllte seine Schale. Plötzlich
erstarrte sie in der Bewegung
und starrte Rolf direkt ins
Gesicht. Für einen langen Moment
öffneten sich die Tore ihrer
geschäftigen Gleichgültigkeit
und in ihren Augen konnte man
deutlich ein verzweifeltes Fle-
hen lesen. Dann zerbrach der
Blick, sie wandte sich abrupt
den anderen Tischen zu und Rolf
schaute ihr fassungslos nach. Er
hatte die Botschaft empfangen,
konnte aber wohl nichts mit ihr
anfangen. Kopfschüttelnd tauchte
er seinen Löffel in die dampfen-
de Suppe ein und schlang sie
hinunter.
Bald darauf hatte Irmgard
zu Ende gespeist und begab sich
mit Isa und Gunda zur Ruhe.
Nachdem auch Thorich sich ent-
fernt hatte, setzte sich der
Fremde zu seinen Männern. Sie
unterhielten sich in ihrer sin-
genden Sprache und Wulfgar be-
merkte, daß sie öfters zu ihm
herüberschauten. Er wurde
unruhig, aber er zwang sich,
nach außen hin Ahnungslosigkeit
zu mimen. Allerdings war er
wirklich sicher, solange er Sol-
daten um sich hatte, und bereits
morgen wollte Thorich die Reise
fortsetzen. Vor allem beschäf-
tigte ihn die Ungewißheit, wer
sein Feind überhaupt war und
warum sie sich haßten, ohne je
zuvor einander begegnet zu sein.
Nach einer Weile erhoben
sich die Attiker und gingen die
29
Treppe hinauf zu den Gästezim-
mern. Später sah Wulfgar sie ihr
Gepäck über den Hof schleppen,
auf den rundbogenen Durchgang
zu. Er beschloß, sich nach dem
Essen diesen Teil des Gasthofs
einmal anzusehen. Bei seinem
dünnen Geldbeutel würde ihm sel-
ber wohl nichts anderes übrig
bleiben, als die Nacht auf einer
Bank in der Wirtsstube zu ver-
bringen. Wenigstens hatte er es
am großen Kamin warm!
Mit vollgeschlagenem Bauch,
leicht angetrunken und tief
zufrieden schob er die leere
Schüssel von sich, nickte Rolf
flüchtig zu und stolperte in den
Hof hinaus. Da er lesen konnte,
blieb er vor dem Eingang rülp-
send stehen und entzifferte das
Gasthofschild über der Tür: "B-
l-a-u-t-e-r-h-0o-s." Tatsächlich
stellte das Holzschild eine
blaue Hose mit im Winde flat-
ternden Beinen dar. Ein merkwür-
diger Name für ein Wirtshaus,
fand Wulfgar, ein... schlimmer
Name! Aber er wußte nicht,
warum. Irgendetwas wollte ihm
nicht einfallen.
Beunruhigt ging er weiter.
Er wollte nach seinen Waffen und
Gepäck sehen. Im Planwagen fand
er den schlafenden Gunnar vor,
der es sich auf dem fellgepol-
sterten Boden bequem gemacht
hatte. Ohne ihn zu wecken, klet-
terte Wulfgar ins Innere, stell-
te befriedigt fest, daß sein
geliebter Speer und die anderen
Werkzeuge seiner Zunftnoch da
waren, überprüfte kurz den
Knoten an seinem Reisebeutel. Er
überlegte, wo er seine Habe
hinschaffen sollte, wenn der
Wirt ihm verbot, Waffen mit in
den Schankraum zu nehmen. Diese
Nacht wollte Wulfgar sie gerne
in greifbarer Reichweite haben,
notfalls würde er sie in der
Dunkelheit hineinschmuggeln. Im
unbewachten lagen konnte er die
Waffen nicht lassen, und er
kannte niemanden von Thorichs
Gefolgsleuten näher. Trotz aller
Plauderei am Tisch war er für
sie ein Fremder.
In diesem Augenblick sah er
den Wirt mit einem seiner Knech-
te in den Hof treten. Flink
kletterte er aus dem Wagen und
eilte auf sie zu.
"Ah, Ihr!" begrüßte ihn der
Wirt. "Mit Euch wollte ich ohne-
hin über einiges reden."
"Das trifft sich gut. Ich
frage mich gerade, wo ich die
Nacht verbringen werde."
Der Wirt musterte ihn ab-
schätzig. "Ein Zimmer wird wohl
zu teuer sein. Außerdem sind
alle besetzt."
"Dann werde ich mich am
besten in den Stall legen."
"Selbst im Stall ist kein
Platz mehr - die vielen Pferde.
Es wird Euch wohl nur der Hof
bleiben."
"Gibt es nicht die Möglich-
keit, in der Schankstube, am
Kamin zu..."
"Nein. Das dulde ich nicht.
So mancher Gast schon hat im
Suff Tische und Bänke zerschla-
gen. Und so mancher Gast...",
der Wirt machte eine bedeutungs-
volle Pause, "...war danach
nicht imstande, den Schaden zu
bezahlen!"
"Jedoch," fuhr er in ver-
söhnlicherem Tonfall fort, "ich
würde Euch zwei oder drei Decken
für die Nacht leihen, wenn Ihr
Frieden haltet."
"lie meint Ihr das?"
"Ihr wißt genau, wie ich
das meine! Der edle Asterion aus
Attika hat sich über Euch be-
schwert und das ja wohl zu
recht! Ich dulde nicht, daß in
meinem Haus hohe Gäste belästigt
werden!"
Wulfgar erwiderte nichts.
Er hatte die merkwürdigen Regeln
menschlicher Gerechtigkeit zur
genüge kennengelernt und wozu
sollte er diesem menschlichen
Vieh etwas erklären, was es
ohnehin nicht verstehen wollte?
Also starrte er dem Wirt reglos
in die Augen und lächelte mild,
"Habt Ihr sonst noch einen
Wunsch?!" schnauzte dieser.
Wulfgar schüttelte den
Kopf.
"Dann entschuldigt mich!"
Von seinem Knecht gefolgt,
stapfte der Wirt davon. Wulfgar
schaute ihm nach. Auch gut,
dachte er, dann schlafe ich eben
im Wagen und morgen früh erzähle
ich dir, was du mir mit deiner
rosaroten Zunge auswischen
kannst...
Er sah empor und blinzelte
in die träge Nachmittagssonne.
Es war noch viel Zeit bis zum
Abendessen, und er hatte sowieso
vorgehabt, sich den Rest des
Gasthofs anzusehen. Also schritt
er zu dem Rundbogen in der Hof-
mauer, durch welchen er in den
zweiten, nach attischer Sitte
quadratisch angelegten Innenhof
gelangte. Stade, Welten und die
anderen Königreiche am Timan-
Stron waren noch Gehöfte von
Stammeshäuptlingen gewesen, als
attische Seefahrer an der Küste
die Stadt Koronar gründeten. Am
Anfang mochte sie gerade einmal
ein Marktplatz mit Hafen und
einigen Häusern darum gewesen
sein, aber immer mehr Menschen
wurden von diesem Handelsstütz-
punkt angezogen, so daß Koronar
wuchs und wuchs und zu einem
Schmelztigel der attischen Rasse
und der Stämme der Umgebung
wurde. Weltoffener, städtischer
Handel und bodenständiges Land-
leben vermengten sich zu einer
neuen Kultur, die sich bald
ausbreitete und sogar das Reich
Dur unterwarf. Die stärkeren
Reiche Welten und Stade setzten
Koronars Truppen im Norden eine
Grenze, dennoch wurden auch sie
von attischer Lebensweise be-
rührt, so daß es Wulfgar keines-
wegs wunderte, hier, im Grenz-
gebiet der drei Länder, ein
einheimisches Langhaus mit einem
angebauten attischen Peristyl
vorzufinden. Er konnte sich vor-
stellen, wie irgendein Vorgänger
oder Vorfahr des jetzigen Wirts
diesen Rundbogen in die Hofmauer
geschlagen und sich darangemacht
hatte, den leeren Winkel zwi-
schen der hochaufragenden Scheu-
ne und der Mauer mit einem
gepflasterten Hof aufzufüllen.
Gegenüber der alten Mauer war
ein niedriges Holzgebäude für
weniger begüterte Gäste entstan-
den, gegenüber der Scheune hatte
man eine neue, allerdings höl-
zerne Mauer errichtet. Steinerne
Säulen und ein Dach aus Holz
umringten diese Art rustikales
Peristyl und natürlich durften
Blumenbeete und eine große,
bronzene Schale zum Auffangen
des Regenwassers nicht fehlen.
Sogar eine kleine Säule mit
einen listig grinsenden Hermes-
Kopf darauf war vorhanden.
Drüben, im Halbdunkel des
Säulengangs, döste einer der
Attiker, vielleicht als Wache,
vielleicht auch nur, weil ihn
der gepflasterte Hof so angenehm
traurig an seine Heimat erinner-
te. Wulfgar erwartete, daß er
aufstehen und seinem Herrn Be-
scheid sagen würde, aber der
Attiker beobachtete ihn zwar
mißtrauisch, blieb jedoch an der
Hauswand sitzen. Die Tür neben
ihm war geschloßen.
Ein Stück weiter konnte
Wulfgar einen Blick in ein Zim-
mer mit ausgestreckt liegenden,
selig schnarchenden Reitern wer-
fen, in der anderen Ecke des
Säulenganges saß auf einer Bank
ein dicklicher Mann, dessen kah-
ler Schädel von einem Kranz
grauer Locken wumschloßen war.
Das gute Tuch und die farben-
prächtigen Borten seines Gewan-
des verrieten den Kaufmann und
seine Finger waren mit Ringen
geschmückt. Diese bewegte er
zögernd über ein buntes Brett,
während sein Gesicht regungslose
Konzentration ausdrückte.
Der Mann zu den Knien des
Koronarers, Niener und Leibwäch-
ter in einen, interessierte
Wulfgar jedoch weit mehr. Zopf
und langer, rötlich-brauner Bart
kennzeichneten den Hünen als
Stammeskrieger aus der Südlichen
Wildnis! Wulfgar eilte über den
Hof und sprach ihn im Dialekt
der Nargier an: "Heil sei dir,
Unbekannter! Mutter Erde und
Vater Himmel sollen deine Wege
beschirmen und deine Sippe ge-
deihen lassen!"
Der dösende Krieger fuhr
zusammen, sprang auf und automa-
tisch kam ihm eine andere Grul-
formel über die Lippen: "Heil
dir! Thor sei dein Freund,
Frigga deine Mutter, Odin dein
Vater, Freya deine Schwester und
Freyr dein Bruder!" Sie sahen
sich an, lachten, umarmten sich.
Söldner aus dem kargen Süden gab
es im Umkreis Koronars häufiger,
zwischen denen jedoch, die aus
Stämmen kamen, welche weder Land
noch Geld kannten, bestand ein
unsichtbares, für Außenstehende
unbegreifbares Band.
"Ich entstamne der \Wolfs-
sippe des Nargier-Stammes und
mein Name ist Wulfgar."
"Ich werde Hejo genannt und
gehörte der Luchs-Sippe der
Öwier an. Unsere Stämme sind
Nachbarn und Feinde." \lieder
lachten sie. Pie lleimat war so
weit weg.
"Wolfsspeer... Deine Fami-
lie verehrt besonders Odin, den
einäugigen Sturmvater?"
"Ja...", Wulfgar überlegte
einen Moment, bevor er ent-
schied, vorsichtig zu sein,
",..aber ich habe keine Familie
mehr, nur noch einen Traum."
Hejo lächelte bitter. "Wer
von uns kennt das nicht? Dennoch
- obwohl auch ich meine Familie
verlor, verehre ich immer noch
die katzenhafte Freya, die meine
Sippe beschützte und uns mit
weitgerühmter Fruchtbarkeit be-
schenkte! Aber Odin ehre ich
natürlich auch und Thor und all
die anderen. Koinm nun her, ich
will dich meinem Herrn vorstel-
len."
Der Alte hatte bei der
lauten Begrüßung aufgeblickt und
ihr interessiert zugeschaut,
obwohl er sicherlich kein ein-
ziges Wort verstand,
"Dieses Freund ab zutlause,"
erklärte ihm Hejo. Ein Sprach-
genie schien er nicht gerade zu
sein.
"Ich heiße Wulfgar und kom-
me aus der Südlichen Wildnis,
ähnlich wie Euer Diener," stell-
te sich Wulfgar in fließenden
Koronarisch vor und genoß
selbstgefällig die überraschten
Mienen der anderen.
"Ich bin Philippos, Han-
delsagent des großen Kaufmanns
Mellon von Koronar," erwiderte
der Alte. "Wo habe Ihr unsere
Sprache so gut erlernt? Diesen
Tölpel hier," er wies auf Hejo,
"Versuche ich schon seit zwei
Jahren, sie beizubringen, und
hört selbst, wie weit er bis
jetzt gekommen ist!"
"Ich war lange Zeit in
koronarischen Diensten."
"Interessant. Setzt Euch
doch zu mir."
Die dünkelfreie Bescheiden-
heit von Philippos beeindruckte
bulfgar. Er nahm auf der Bank
Platz, wobei er darauf Acht gab,
nicht gegen das quadratische
Brett zu stoßen, das neben Phi-
lippos lag. Es war mit einen
blau-rot-karierten Muster be-
malt, auf dem viele kleine Holz-
figuren in komplizierten Kombi.-
nationen standen.
"las ist das, edler Philip-
pos?"
"Ein Spiele Es kam aus
Ländern zu uns, die noch weiter
weg liegen als Attika. Habt Ihr
es in Koronar nie gesehen?"
Wulfgar schüttelte den
Kopf. "Was macht man mit diesem
Brett?"
"Man stellt sich vor, es
sei ein Schlachtfeld. Wie Ihr
seht, sind ja die Fiqauren in
zwei Farben eingeteilt - den
zwei Armeen. Zwei Spieler, die
miteinander wetteifern, bewegen
die Figuren. Jeder darf, wenn er
an der Reihe ist, genau eine
Figur seiner Armee um genau
eines dieser bunten Nuadrate
vorrücken, so wie ich das jetzt
mache. Zumindest gilt das für
die einfachen Soldaten, das sind
diese kleinen Figuren. Die
großen Figuren, die Offiziere,
dagegen..."
Wulfgar hörte gespannt zu.
Der Kaufmann schien sich zu
freuen, auf dem langen leg von
Koronar nach Stade einen Men-
schen zu treffen, den sein Spiel
reizte. Es war ja auch zu ver-
wirrend, all. diese verschiedenen
Figuren und Zuomöglichkeiten im
Kopf zu behalten und sich
gleichzeitig Strategien zu über-
legen, mit denen man seinen
Gegner aufs Kreuz legen konnte.
Wulfgar machte immer wieder Feh-
ler. Philippos blieb dabei ge-
duldig. Abgesehen davon, daß das
Sanftmütige in seiner Natur zu
liegen schien, war er viel zu
glücklich über eine Gelegenheit,
einige Partien zu spielen und
nicht immer mit sich selbst über
optimale Verteidigungsstellungen
und Angriffe zu philosophieren.
Mittlerweile wurden die
Schatten länger und länger und
die Sonne stand als rotglühender
Ball über den düsteren Tannen-
spitzen. Hejo brachte Philippos
einen wärmenden Wollumhang aus
ihrem Zimmer und Wulfgar spürte,
wie über seine Haut ein kühles
Kribbeln rann.
"Es wird Zeit für mich,"
meinte er zu den beiden. "Ich
wollte mir noch vor dem Essen
den Reisestaub herunterwaschen."
"Ganz in der Nähe ist ein
Bach. Hejo wird ihn Euch zei-
gen."
"Habt Dank, aber ich werde
den lieg auch allein finden."
"seid doch nicht so be-
scheiden! Hejo macht das gern,
nicht wahr?"
Der Diener nickte. Wulfgar
zögerte. Schließlich sprach er:
"Ihr müßt meine Unhöflichkeit
entschuldigen... Ich möchte ger-
ne ein wenig allein sein."
"ie Ihr wünscht. Der Weg
ist ja ganz leicht zu finden.
Ein Pfad führt direkt an den
Bach, ihr braucht nur den Gast-
hof durch die hintere Pforte zu
verlassen."
Wulfgar verabschiedete sich
von den beiden und schritt
davon, durch den Rundbogen, über
den vorderen Hof. Eine merkwür-
dige Unruhe hatte ihn überfal-
len, es drängte ihn zu den
Wasser, zu dem Wasser! Er öff-
nete das angelehnte Tor und
tauchte in den Wald ein.
Nach einigen sandigen Weg-
kehren wich der enge Tannenforst
lichteren Eichen, Buchen und
Kiefern und kurz darauf glänzte
ihm durch den goldenen Regen
herabhängender Weidenblätter der
Bach entgegen. Dieses unerwar-
tete Bild des Lebens traf
Wulfgar wie eine plötzliche Be-
freiung, er spürte ein Gewicht
von seinen Schultern gleiten und
machte unwillkürlich einen tie-
fen, glücklichen Atemzug. Tief
in seinem Bauch wuchs ein
Lachen, das durch seine Kehle
emporstieg und die Welt mit
Freude erfüllte, und lachend
lief er die Rinne hinunter, der
das gluckernde Wasser folgte,
über knotige Wurzeln und hinein
ins eiskalte, aufspritzende Naß.
Er tauchte seine Hände hinein
und rieb sich damit das Gesicht,
bis es vor Kälte brannte. In der
Abendsonne aufblinkende, weiße
Tropfen flogen in alle Richtun-
gen, als er seinen Bart schüt-
telte und rief: "Odin! 0-0-odi-
in!" Er verneigte sich in
Richtung (Quelle und sprach:
"Heil dir, Geschöpf des Wassers!
Lebendiges und lebensspendendes
Wesen! Wulfgar ist hier und er
wünscht dir, daß du immer
sprudelst. Heil dir, du herr-
licher Ort."
Während er ans Ufer zurück-
watete, bedauerte er es fast,
daß der Troß der Prinzessin
schon morgen weiterzog. Dabei
beschloß er, die Nacht nicht im
Gasthof, sondern hier, am Bach,
zu verbringen. Pitschnaß und vor
Kälte bibbernd machte er sich
auf den Rückweg. Seltsam, dachte
er, daß die Ausstrahlung dieses
Asterion reicht, um einen ganzen
Ort zu verpesten... Da erstarrte
er! Für den Bruchteil eines
Augenblicks hatte er eine
Vision! Gewalt und Tod! Toten-
schädel, ein Feld voller Toten-
schädell Und überall Blut! Es
war vorbei. Er war gewarnt wor-
den.
Er starrte noch benommen
ins Zwielicht der einsetzenden
Nacht, als er jemanden näherkom-
men hörte! Das Messer sprang in
seine Hand und mit zwei langen
Schritten war er im Schatten der
Bäume. Kurz darauf kam die Magd
den NWeg herunter. Aufatmend
steckte WWulfgar das Messer
zurück und trat ihr in den leg.
Sie fuhr zusammen, klappernd
fielen die leeren llassereimer
aus ihren Händen.
"Verzeih, ich wollte dich
nicht erschrecken," entschuldig-
te sich Wulfgar.
"A-ach Ihr seid das..."
stotterte sie. Er wollte gerade
vorübergehen, da hielt sie ihn
an der Jacke fest. "Herr..."
Na?"
"Bei Euch ist ein Reiter,
ein stämmiger, mit Schnauzbart
und Haar in der Farbe von
Eichenlaub..."
"Rolf?"
"Vielleicht heißt er
Wollt Ihr ihm eine Botschaft von
mir bringen?"
"elche?"
"Heute Nacht, wenn die
Schänke schließt, soll er zum
Bach kommen. Dort werde ich auf
ihn warten. Sagt Ihr ihm dies?"
"Warum sagst du's ihm nicht
selbst?"
"Ich kann nicht! Sagt Ihr's
u”
je}
ihm nun oder nicht?"
"Von mir aus..."
"Habt Dank! Habt vielen
Dank! Ich muß jetzt weiter." Sie
nahm ihre Eimer auf, brdankte
sich noch einmal und ging. Ein
Stück weiter drehte sie sich
erneut um und rief: "Und vergeßt
es nicht!" Dann verschwand sie
im Halbdunkel.
Fortsetzung in der nächsten Aus-
gabe.
Das Maäifest
In früheren Zeiten, als die
Menschen noch stärker im Ein-
klang mit der Natur lebten, war
das Bewußtsein bestimmter ein-
schneidender Änderungen im
Jahreslauf nur eine Frage der
Aufmerksamkeit gegenüber alltäg-
lichen Erscheinungen.
Für uns, die wir vom Kor-
sett der Zivilisation mehr oder
weniger eifersüchtig gegen
Natureinflüsse abgeschirmt wer-
den, bedarf es zur Bewußtwerdung
der Festzeiten des Jahres schon
eines gezielten Verständnisses,
So hat jedes Fest seine
besondere Aufgabenstellung für
den Zivilisationsmenschen, deren
Meisterung man als Ziel anvisie-
ren sollte, um nicht den Natur-
rhythmus des Jahres in dumpfer
Halbbewußtheit zu verschlummern.
Hatte die Wintersonnenwende
als entscheidenden Kernpunkt die
Geburt des Lichtes in der Tiefe
unseres Inneren zum Inhalt, so
setzt sich dieser Vorgang zu
Lichtmeß als eine ständig zuneh-
mende Durchdringung unseres
Körperbewußtseins als auch unse-
rer Seele durch die aufsteigende
Lichtkraft fort. Und so ist es
auch im Leben der Erde: Ilas
bisher dunkel und unbekannt war,
tritt jetzt ins Licht der Er-
kenntnis. Was bisher in eisiger
Starre gebunden war, wird jetzt
gelöst und beweglich, anpas-
sungsfähig und aufnahmebereit.
Zu Ostern schließlich beginnen
geheime Quellen zu fließen (das
Osterwasser des Lebens) und die
ursprüngliche und noch unberühr-
te Bereitschaft zu fruchtbarer
Vereinigung mit der Außenwelt
wächst sprungartig.
An ° INN em EREN er
Und dennoch ist zu Ostern
die Fülle neuer, brodelnder
Lebenskräfte erst in der Vorbe-
reitungsphase, noch ge- wie die Walpurgisnacht,
fangen im Inneren (das der Vorabend zum 1.
Ei als Sinnbild). Es Nai. Auch das Pfingst-
ist das fruchtbare A fest (50 Tage nach dem
SM ersten Ostertag) und
JE seine Volksbräuche ge-
2} hören zu den Feierlich-
Chaos vor der Geburt
des Lebendigen, aber
schon in der Zielrich- 3
tung auf künftige Be-
staltwerdung.
keiten des Mai, frei-
lich unter kirchlichen
Zum Maifest geht , Deckmantel. Ursprüng-
| lich war hier einmal
:von "Hohe Maien" die
Rede. Statt des 1. Mai
a7 werden viele Volks-
der Impuls der inneren
Kräfte schließlich ganz
nach außen, durchbricht
die festen Konturen des
!bräuche auch in manchen
ı Gegenden am 12./13. Mai
| (sog. Alter Mai) gemäß
! dem julianischen Kalen-
abgegrenzten Ürganis-
mus, um aus der Einheit
des in sich abgeschlos-
senen Lebens zur Le-}
bensvielfalt zu werden.
Das Mysterium der Zeu-
gung, der magnetischen =
Anziehung zwischen den
arız | der durchgeführt. Man-
N; che heidnischen Gruppen
”" feiern heute das Fest
..” am zweiten Vollmond
5 af = nach der Frühlings-
und Frau, das vollkom- uf F Ay Y N atagniecttgleheh an-
mene Hinausschleudern i ®*=. dere in der Zeit da-
und sich Aufbäumen al- _ “nach. Im Keltentum
ler Lebenskräfte über
die Grenzen hinaus -
Wesen, zwischen Mann \y
iu!
Großbritanniens hieß es
beltaine (oder auch
dies ist die eigent-
liche Erfahrung und
Aufgabe des Maifestes!
beal-tine, baldein,
beltien, beltan).
In diesem Abschnitt
Im alten Europa des Jahres steht die
hatte dieses Fest viele Sonne im Zeichen Stier:
verschiedene Namen und Pa Die MNenschen dieses
verschiedene Zeitpunkte , Zeichens sind erfah-
sind mit seinen Feier- £ö a Tungsgemäß gut mit den
FB4 stofflichen Bedingungen
des Lebens, mit seinen
materiellen Vorrausset-
lichkeiten verbunden.
So gehört das noch im
April liegende St. Be-
orgs-Fest ebenso dazu, zungen und Notwendig-
38
keiten vertraut. Sie beherrschen
die Gestaltung des Stoffes, sind
ungeheuer arbeitsam, aber
zugleich auch hemmungslos im
Genießen und Auskosten aller
Genüsse des Lebens. Dies gilt
sowohl in sexueller als auch in
kulinarischer Beziehung und be-
züglich der Wahrnehmung des
Schönen in Kunst, Mode und Land-
schaft. Sie sind ausgeprägt
sinnlich.
Der Stier als Sinnbild
ungehemmter Zeugungskraft und
\Wollust: So wurde dieses Fest in
alten Zeiten auch gefeiert,
wovon die Schilderungen klerika-
ler Mießmacher deutliches Zeug-
nis ablegen. So berichtete ein
protestantischer Geistlicher um
1585 in England, "die Ausgelas-
senheit bei der Einholung des
Maibaums sei so groß, daß ein
Drittel der daran beteiligten
Mädchen ihre Ehre verliere".
Eine oberpfälzische Polizei-
verordnung von 1533 bezeichnet
das Maifest kurzweg als "un-
christliches und unflätiges
Ding". Der Volkskundler Dr. Eu-
gen Fehrle (in: Deutsche Feste
und Volksbräuche, Leipzig 1920)
bemerkt etwas verschämt: "Ver-
einzelt sind noch Spuren eines
ehemaligen Beilagers erhalten.
Diese Begehungen sind zurück-
zuführen auf das Nebeneinander-
stellen menschlicher und vege-
tabilischer Fruchtbarkeit."
ihnliche Deutungen des Mai-
festes, seiner Riten und Sinn-
bilder finden wir auch in Fra-
zers monumentalem \lerk "Der gol-
dene Zweig". Volkstümliche Magie
als Instrument wirtschaftlichen
Zweckdenkens einer landwirt-
schaftlich tätigen Bevölkerung -
dies ist sicher auch ein Aspekt
der sexuellen Riten des Mai-
festes. Daß es hier aber noch um
wesentlich mehr ging, nämlich
das bewußte Erleben und Gewahr-
werden des eigenen Körpers, sei-
ner Kräfte und Stärken und die
Steigerung dieser Kräfte zu
überschäumender Lust und Ekstase
- diese wesentliche Aufgabe des
Festes gerät bei der Darstellung
der Fruchtbarkeit als ökonomi-
scher Zwecksetzung leicht in den
Hintergrund.
ut,
Dan +»
Worin bestanden nun die
Hauptelemente des Festes und wie
wurde es durchgeführt? Wir fin-
den im volkstümlichen Brauch ein
kultisches Feuer, die Errichtung
eines heiligen Baumes, zwei Re-
präsentanten göttlicher Urkräfte
in männlicher und weiblicher
Gestalt und einer Reihe initia-
torischer, kultischer Hand-
lungen, die sich zwischen diesen
beiden Wesenheiten abspielen.
Die kultischen Feuer wurden
meist in der Walpurgisnacht ent-
zündet, teilweise aber auch am
1.Mai. Es heißt, daß ihr Sinn in
der Vertreibung der Hexen be-
stehe. Offenbar geht es hierbei
natürlich um die Vertreibung der
Dämonen der Unfruchtbarkeit, der
Lustlosigkeit, der Erstarrung
und Trägheit. Darin bestünde
seine reinigende Wirkung.
Gleichzeitig ist es natürlich
auch ein Sinnbild für das Feuer
der Leidenschaft und der körper-
lichen Stärke der Wesen. Ebenso
doppeldeutig ist auch das ge-
zielte Lärmen zu Walpurgis: Auf
der einen Seite richtet es sich
gegen die Dämonen des Alten
Jahres, zugleich demonstriert es
die eigene Stärke.
Wichtigstes "Requisit" des
Maifestes ist der Maibaum, der
in den allermeisten Fällen eine
Birke war, allerdings wurden
auch Fichten , Tannen und Linden
benutzt. Wo nicht die Möglich-
keit bestand, einen ganzen Baum
zu beschaffen, gab es wenigstens
Zweige, die verteilt oder vor
dem Haus in den Boden gesteckt
wurden. Meist wurde der Baum von
der ganzen Dorfgemeinschaft ge-
meinsam im Walde gefällt und
dann in einer Art Prozession in
den Ort hineingefahren oder -
getragen. Die Rinde wurde abge-
schält und man ließ nur den
Wipfel des Baumes mit allen
Zweigen und Blättern stehen. Die
Mädchen des Qrtes schmückten ihn
dann, nachden man ihn aufge-
stellt hatte, mit bunten Bändern
und Kränzen. Mitunter war der
Maibaum aber auch die Gabe eines
einzelnen Mannes an eine von ihm
verehrte Frau: Er stellte ihr
dann den Baum heimlich nachts
vor die Tür, vor das Fenster
oder sogar aufs Dach. Es kam
auch vor, daß jedes in einem
Hause wohnende Mädchen von einen
Mann sein Bäumchen bekam oder
daß mehrere Männer einen Baum
für ein Mädchen aufstellten.
Manchmal wurde der Maibaum zu
Ehren eines Paares aufgestellt,
das im vorigen Jahr geheiratet
hatte. Wurde dann das erste Kind
geboren, blieb der Baum stehen.
Als kultischer Mittelpunkt einer
Dorfgemeinschaft wurde der Mai-
baum von Männern und Frauen
umtanzt, wobei er oftmals mit
bunten Bändern umwunden wurde.
Man findet dafür auch,die Vor-
schrift, daß am Tanz um den Baum
nur jungfräuliche Mädchen teil-
nehmen dürfen. Nach der
Umtanzung wurde er in vielen
Arten am darauffolgenden Tage
gestürzt, was man später aus
Sparsamkeitsgründen unterließ,
so daß der Baum ständig stehen-
Was hat es nun mit der
Symbolik des Maibaumes auf sich?
Es gibt hier die überraschend-
sten Deutungsversuche: So brin-
gen es gewisse wölkische Autoren
fertig, in ihm ein Symbol kol-
lektiver Ganzheit zu sehen, in
der Zweige und Blätter stellver-
tretend für die Individuen ste-
hen, während der Baumstamm ihre
Vereinigung in der Gemeinschaft
versinnbildlicht. Dies ist na-
türlich rein politisch gemeint
und geht über die tatsächliche
ältere Bedeutung des Baums als
Sippen oder Familiensymbol
(siehe der Begriff "Stammbaum" )
weit hinaus. Für Frazer ist der
Maibaum gemäß der alten Bauern-
weisheit, daß "zu Walpurgis der
Saft in die Birken fährt", in
erster Linie ein Sinnbild des
Frühjahrswachstums, ja sogar
eine direkte stoffliche Verkör-
perung des Vegetationsgeistes.
Nun belegt aber schon das ganze
Brauchtum um den Maibaum, daß es
hier vor allem um die Beziehung
zwischen den Geschlechtern geht:
Was läge also näher, als im
Maibaum eine Verkörperung des
männlichen Phallus zu sehen und
in den ganzen entsprechenden
Bräuchen eine mystische Vereh-
rung und Präsentation seiner
Macht? Interessant ist in diesem
Zusammenhang auch die Beziehung
zwischen der meist als Maibaum
gebrauchten Birke zu der Göttin
der Liebe und Schönheit Freya,
die in der germanischen Rune
"BIARK" verdeutlicht wird.
Freyas Bruder, der Sonnengott
FREYR, mit dem sie nach den
Mythen auch sexuellen Umgang
pflegte, wurde im Tempel zu
Upsala in Schweden mit erigier-
tem Phallus dargestellt.
Auch wurde der Maibaum als
"Maie" bezeichnet, was ebenso
wie der entsprechende Monatsname
mit einem altitalischen Wachs-
tumsgott namens "MAIUS" zusam-
menhängen könnte.
Bei konsequenter Anwendung
der Sexualsymbolik wird uns auch
die Deutung des Kranzes nicht
schwerfallen, der um den aufge-
richteten Maibaum herum aufgezo-
gen wird.
Kommen wir nun zu den be-
stalten, deren Betrachtung uns
den ursprünglichen Sinn des
Festes noch näher bringt. Es ist
der Maikönig, Maigraf oder auch
Maibräutigam und seine weibliche
Ergänzung, die Maikönigin, -
oräfin oder -braut. Beide treten
in späterer Zeit auch getrennt
voneinander auf. Er wird ent-
weder durch die Gemeinschaft
gewählt, durch einen Wettlauf,
Wettreiten oder durch ein Wett-
schießen ermittelt. Die anderen
Dorfbewohner empfangen ihn ehr-
erbietig wie einen Fürsten oder
siegreichen Herrscher. Wie ist
sein äußeres Erscheinungsbild
beschaffen? Er hat oftmals ein
geschwärztes Gesicht, trägt
einen grünen Kranz um die
Schultern oder ist am ganzen
Körper mit grünem Laub bedeckt.
Seine Laubhiille gilt als zauber-
kräftig. Gelegentlich wmreitet
man auch mit ihm gemeinsam die
Kornfelder.
Die Maibraut oder auch
Pfingstbraut tritt vor allem in
Norddeutschland allein auf. Sie
streut Blumen auf die Wege und
vor die Türen. Nahe der Wartburg
gibt es den Brauch, daß die in
Laub gehüllte Pfingstbraut mit
einem Mädchen aus jedem Haus ein
Tänzchen macht.
Ausgssucht wird,sie., meist
nach den Kriterien der Schönheit
und Tüchtigkeit.
Treten beide (Maigraf und
Maigräfin) zusammen auf, so gibt
es eine ganze Reihe von Ritua-
len, die deutlich machen, daß
sich hier so etwas wie eine
Finweihung abspielt, bei der die
Frauen meist aktive, priesterli-
che Funktionen ausüben.
So gibt es einen Brauch,
bei dem sich der Bräutigam
schlafend stellt, um anschlie-
ßend von der Braut geweckt zu
werden.
Auch stellt sich der Bräu-
tigam tot und wird dann von der
Braut zu neuem Leben erweckt.
Für Männer, die von ihrer Braut
verlassen wurden, gibt es zum
Maifest folgendes Ritual: Der
Mann wird in grünes Laub einge-
hüllt, legt sich auf die Erde
und stellt sich schlafend. Ein
Mädchen, das ihn gern heiraten
möchte, "weckt" ihn, reicht ihm
den Arm und eine Fahne und zieht
mit ihm ins nächste Wirtshaus.
Fin mit Laub und einer
Maske bekleideter Mann (sog.
"yasservogel") wird von zwei
Frauen an einem Gewässer in
Empfang genommen, um ihn nach
Beseitigiaung seiner Maske zu
waschen. Darauf legt er seine
Arme um ihre Nacken und wird
dreimal unter Wasser getaucht.
Sehr aufschlußreich ist
auch das sog. "Dreckschwein-
fest", das zu Pfingsten im Süd-
harz gefeiert wird: Die Männer
gehen in grobes Sackleinen ge-
hüllt zu einem Teich und ver-
suchen, sich gegenseitig hinein-
zustoßen. Danach begeben sie
sich ins Dorf zurück und er-
scheinen dort mit neuen, weißen
Gewändern und bunten Bändern.
Wenn wir angesichts dieser
seltsamen Riten an die alte
Vorstellung denken, daß der
Lichtgott im Schoß der Erdmutter
zur \Wintersonnenwende wiederge-
boren wird, so schien man zur
Zeit des Maifestes wahrzunehmen,
wie der Impuls dieses Gottes in
Form der zahllosen Keime, Knos-
pen und des frischen Grüns aus
der Unterwelt an die Erdober-
fläche emporstößt, wobei es die
Göttin der Morgenröte ist, die
ihm zur Frühlings-Tagundnacht-
gleiche die Kraft dafür zuströ-
men läßt.
Demzufolge haben wir beim
Osterfest auch das Ei als Sinn-
bild, in dem nach altindischer
Überlieferung der Urgott verbor-
gen ist. Wenn das Ei zerbricht,
die eine Hälfte zum Himmel, die
andere zur Erde wird, findet die
Erschaffung der Welt statt. Eben
dieses Heraustreten eines Gottes
aus dem Schöpfungskeim (=Ei)
erleben wir im Anschluß an das
Osterfest mit dem Maifest. In
dieser Zeit findet auch die
Neuschöpfung des Lebens in der
Natur statt.
5o wären Maigraf und -gräfin
die Repräsentanten göttlicher
Urkräfte, die sie natürlich nur
dann würdig verkörpern, wenn sie
eine starke innere Beziehung zu
diesen Wesenheiten entwickeln.
Der Maigraf oder -künig ist also
der Sonnengott, der nach seiner
Geburt aus der Unterwelt zurück
auf die Oberwelt wandert, wo er
seine Pubertät durchmacht und
die jugendliche Zeugungskraft
aewinnt. Seine Braut ist die
Göttin des neuen Lichtes
EOSTRAE/OSTARA/FREYA, mit der er
sich in Liebe und Ekstase ver-
bindet. So gesehen bedarf natür-
lich auch das Umwinden des Mai-
baumes mit Bändern (der sog.
Bandltanz) einer vertieften
sexualsymbolischen Deutung. In
ihrer menschengestaltigen Be-
deutung ist diese Göttin die
Jungfrau, die ebenso ihre ersten
Erfahrungen körperlicher und
sexueller Bewußtwerdung macht,
wie auch der junge Lichtgott.
Auf diesem Hintergrund ist dann
auch der Brauch des sogenannten
Mailehens zu verstehen, bei dem
Mädchen und Jungen füreinander
ausgelost oder versteigert wer-
den. Dies geschieht unter dem
Maibaum oder beim Maifeuer. Die
von jetzt an zusammengehörigen
Paare beschenken sich gegensei-
tig während des Jahres, gehen
gemeinsam zum Tanz und zu allen
Dorffestlichkeiten. Ihre Part-
nerschaft galt zunächst nur für
ein Jahr, obwohl sich daraus
natürlich oft eine Art Verlobung
entwickelte. So nennt man diesen
Monat zu Recht den Iılonnemonat,
da sich in ihm nicht nur die
Vegetation und die Tierwelt,
sondern auch die Herzen der
Menschen in Lust und Liebe ent-
falten. Nun noch einige nütz-
liche Ratschläge aus der Weis-
heit des Volkes: Mairegen und
Maitau sind heilkräftig (u. a.
gegen Augenleiden) und bringen
Schönheit. Per Maitau insbeson-
dere, wenn man sich nackend
darin wälzt. Wer sich zu Wal-
purgis einen Kranz von Gunder-
mann aufsetzt, kann alle Hexen
sehen. Ein Mittel, um Geheimnis-
sen auf die Spur zu kommen: Man
gräbt in der Mainacht, schweigend
einen Spiegel mit dem Glas nach
unten auf einem Kreuzweg ein und
holt ihn in der nächsten Nacht
zwischen 11.00 und 12.00 Uhr
wieder, wobei man dann alles in
ihm sehen kann, z.B. jeden Dieb-
stahl.
Die NWalpurgisnacht gilt
übrigens auch als Losnacht, d.h.
man kann in ihr zukünftige Dinge
mittels Orakel erfahren.
Um das Fest heute auf die
rechte Art und Weise zu begehen,
sollte man vielleicht einen Baum
als Maibaum auswählen, den man
während der Feier dort stehen
läßt, wo er gewachsen ist.
Der Maikönig und die Maikö-
nigin sollten sich natürlich
schon einige Zeit vorher inten-
siv mit den Gottheiten auseinan-
dersetzen, um diese auf dem Fest
wirklich repräsentieren zu kön-
nen, d. h. von ihrer Kraft be-
sessen zu sein. Es wäre schließ-
lich schade, wenn das Maifest
nicht mehr wird als ein harın-
loser Volkstanz um den Maibaum
mit anschließendem Umtrunk.
Matthias Wenger
THELEMA
- oder gibt es noch eine Heilige Inquisition in unserem Land?
Grundsätzlich hat jeder
Mensch in diesem Lande
ein unveräußerliches
Recht auf seine eigene
religiöse Anschauung,
auf Glaubens-, Bekennt-
nis- und Gewissensfrei-
heit (Art. 3, Abs. 3 und
Art. 4, Abs. 1, 2 des
Grundgesetzes). Und er
darf nach dem Buchstaben
des Gesetzes deswegen
auch nicht benachteiligt
oder gar verfolgt werden. Aus
diesem Grunde gibt es in der
Bundesrepublik Deutschland auch
keine Staatskirche und keinen
staatlich verordneten Glaubens-
zwang, wie er uns aus früheren
Phasen deutscher Geschichte
wohlvertraut ist.
Entschließt sich nun ein
Einzelner oder eine Bemeinschaft
von Menschen, einen bestimmten
geistigen Weg, einer eigenen
religiösen Weltsicht zu folgen,
so haben Staat und Gesellschaft
die beste Möglichkeit, ihre To-
leranz konsequent unter Beweis
zu stellen.
Der vorliegende Fall "The-
lema" zeigt deutlich, wie schwer
es sein kann, den gesellschaft-
lichen und kirchlichen Instanzen
diese Toleranz abzuringen, ja
SE —
a I
wie sehr unser Staat noch mit
Verfahrensweisen behaftet ist,
die in einer republikanischen
Ordnung eigentlich tabu sein
müßten.
Beginnen wir mit einer
kurzen Darstellung dessen, was
Thelema eigentlich ist, um dann
zu schildern, wie die politisch-
publizistisch-kirchliche Umwelt
darauf reagierte.
Thelema, heute nach Aussage
des Ordensgründers Michael
Eschner als Ordensorganisation
nicht mehr existent, war ein
magisch ausgerichteter Ürden,
der Anfang der Achtziger Jahre
in Berlin begrindet wurde. Hier
fand er damals auch seine ersten
Anhänger. "Thelema" ist ein Be-
griff, der aus dem Griechischen
stammt und soviel wie "Wille"
bedeutet. Er war die zentrale
Devise des berühmten englischen
Magiers und Okkultisten Aleister
Crowley, der von 1875-1947 lebte
und ein komplexes System kabba-
listisch-mythologischer Symbolik
und eine Vielzahl magischer
Techniken und Rituale entwickel-
te.
7
ER
)
nn,
Er war zwar in seiner Ar-
beit ungeheuer schöpferisch und
gab viele neue Impulse, doch war
Crowley in entscheidender Weise
geprägt worden durch den Orden
der goldenen Morgendämmerung,
der im England des ausgehenden
19. Jahrhunderts die alchemisti-
schen, astrologischen und kabba-
listischen Traditionen wieder-
belebte. Die altägyptische Reli-
gion und ihre mythische Symbolik
spielte in diesem Orden eine
große Rolle - im Grunde einer
46
der ersten Ansätze zur Renais-
sancee des heidnischen Poly-
theismus, wie er erst heute
langsam zum Tragen kommt. Dane-
ben war es der Orden der Templer
vom Orient (0.T.0), dessen se-
xualmagische Symbolik Crowley
schon selbst erarbeitet hatte,
bevor man ihn in den Orden auf-
nahm und ihm darin eine Füh-
rungsrolle zugestand.
Es waren aber auch andere
Mysterien, die Crowley beschäf-
tigten, und in sein magisches
Entwicklungssystem einflossen,
wie z.B. die keltische Gralstra-
dition, das chinesische I-Ging,
der Tarot und die Übungen des
Yoga. Schließlich baute Crowley
seinen eigenen Orden auf, die
ASTRA ARGENTEA, in die er dann
all sein praktisches und theore-
tisches Wissen investierte. Aus
seinen mystischen Erfahrungen
heraus wie z.B. der angeblichen
Offenbarung des Buches des Ge-
setzes ("Liber Al vel Legis") im
Jahre 1904 in Kairo, entwickelte
Crowley eine für ihn wichtige
Erkenntnis: Daß es im tiefsten
Inneren jedes Menschen ein Ge-
setz gibt, das die eigentliche
Triebkraft seiner kosmischen
Existenz darstellt. Dieses
innere Gesetz bezeichnete er als
"den wahren Willen", oder symbo-
lisch ausgedrückt den heiligen
Schutzengel des Menschen. Er
formulierte auf der Grundlage
dieser Erkenntnis den berühmten,
oft bewußt mißverstandenen Satz:
"Tu was Du willst - dies soll
sein das ganze Gesetz", aber
auch: "Jeder Mann und jede Frau
ist ein Stern", um damit deut-
lich zu machen, daß jeder Mensch
sein eigenes Gesetz der Bewe-
gung, seine eigene Bahn der
Entwicklung durch die Unendlich-
keit habe.
Unglückseligerweise ist
aber dieses innere Gesetz, der
wahre Wille, unter einem Riesen-
schutthaufen von angenommenen
oder auferlegten Rollen, von
Masken, von Pseudo-Identitäten,
die sich die Menschen im Laufe
ihrer Inkarnationen aufgebürdet
haben, begraben. Nach diesen
einmal aufgenommenen Rollenspie-
len entwickeln sich die Menschen
mit der Folgerichtigkeit von
lebendigen Maschinen, unter de-
ren Rädergewirr ihre göttliche
Identität ohnmächtig dahin-
schlummert. Es geht nun bei
Crowleys Arbeit darum, dem wah-
ren Willen wieder Gehör zu ver-
schaffen, ihn zu einem wirk-
lichen souveränen Zentrum
selbstbestimmten Handelns werden
zu lassen, in dem er allen äuße-
ren Einflüsterungen angeblich
gesellschaftlich verbindlicher
Normen entsagt. Dieses Verspre-
chen vollkommener Freiheit hat
Crowley unter anderem den Ruf
eines Propheten des Individual-
Anarchismus eingetragen - obwohl
seine Vorstellungen eigentlich
nur die konsequente Anwendung
mystischer Prinzipien sind.
Um nun die angemaßte oder
aufgezwungene Pseudoidentität
und ihre Normen in der augen-
blicklichen Inkarnation zu
durchbrechen, empfiehlt Crowley
Übungen und Techniken, um diese
in Frage zu stellen. Denn an
der Stelle, an der ein Riß in
der "Maske" entsteht, könnte ja
das wahre innere Gesetz des
Menschen hervorbrechen, das sich
solange verborgen gehalten hat,
Zur Erreichung dieses Ziels
hat Crowley eine ganze Reihe von
Übungen empfohlen, die den Men-
schen in seiner körperlichen,
seelischen und geistigen Lei-
stungsfähigkeit an die Grenze
dessen führen sollen, was er in
seiner gegenwärtigen Inkarnation
47
als feste Norm entwickelt hat.
Hat z.B. jemand die Vorstellung
entwickelt, daß sein Körper
schwach und sensibel ist, so
empfiehlt Crowley die bewußte
Durchbrechung eines solchen
Tabus mit entsprechend belasten-
dem Training. Es geht darum, die
augenblicklich geprägte Form der
karmischen Situation zu "zerstü-
ckeln", um eine Neuprägung vor-
zunehmen. Durch die Bewegung,
die dadurch in die starre WWesen-
heit des Pseudo-Ich der Gegen-
wart gerät, erhofft man sich
dann ein Erwachen und einen
schließlichen Durchbruch des
wahren Ichs, eben des wahren
Willens.
wir dieses n
Ilenn
konsequenterweise auch auf das
Gebiet des Sexuellen oder auf
die Gefühlsebene übertragen, SO
wird schnell die Entrüstung
deutlich, mit der schließlich
nicht nur puritanisch-klerikales
Bürgertum, sondern auch die
"yeißmagischen" Soft-Esoteriker
auf Crowleys dementsprechende
Praktiken reagierten. Wer die
sanfte, evolutionäre Transforma-
tion des Menschen durch ein
höheres Bewußtsein. „erstrebte,
konnte Crowleys Konzept leicht
als "Horrortrip" des "linken
Pfades" identifizieren.
Rufes hat sich Crowley dadurch
einen Namen gemacht, daß er an
Esoterik interessierte Menschen
nicht nur zu endlosen Diskussio-
nen, sondern auch zum aktiven
Handeln ermutigt hat.
Nach seinem Tode gab es
eine ganze Reihe von Gruppen,
die sich tatsächlich oder vor-
geblich um die Fortführung sei-
ner Arbeit bemühten. Besonders
natürlich im angloamerikanischen
Bereich, aber auch im deutschen
Sprachraum, wobei der 0.T.D.
Frankfurt (mit dem Illuminaten-
orden), der 0.T.0. Zürich mit
der Gnostisch-Katholischen Kir-
che und der deutsche Orden Fra-
ternitas Saturni zu erwähnen
sind. In den Siebziger Jahren
entstanden daraus dann eine
Reihe von Abspaltungen und Neu-
gründungen, was wohl z.T. auch
aus dem Generationskonflikt re-
sultierte.
Michael Eschner fühlte sich
u.a. deshalb zur Ordensgründung
von Thelema berufen, weil er
sich für die Reinkarnation Crow-
leys hält. Seine Neuinterpreta-
tion der Lehren Crowleys beruhte
u.a. auf dem Vergleich mit zeit-
genössischen tiefen- und gesell-
schaftspsychologischen Systemen
(Freudsche und Jungsche Psycho-
analyse, Transaktionsanalyse)
und auch auf der Erkenntnis, daß
sich die Situation der Menschen
allein durch die Veränderung
gesellschaftlicher Mechanismen
nicht wesentlich bessern würde.
Insofern zählt Eschner (heute
39jährig) zu jener Vielzahl von
Exponenten der B6Biger-Revolte
und -Generation, die die Notwen-
digkeit selbstgestalteter mysti-
scher Transformation anstelle
bloßer sozialrevolutionärer Pro-
gramme für das Entstehen eines
neuen Zeitalters erkannt haben.
Vielleicht ist es diese verbor-
gene, individuelle Sprengkraft
für das zwanghafte Gefüge
unseres gesellschaftlichen Orga-
nismus, die die Gegner bald mit
größter Bewußtheit auf den Plan
rufen sollte. Interessant ist
z.B. schon einmal die undiffe-
renzierte Betrachtungsweise
zahlreicher Presseorgane, die
sich bei anderen religiösen
Institutionen wie den großen
Kirchen meist krampfhaft um Db-
jektivität bemühen. Obwohl z.B.
Crowleys Lehre einen differen-
zierten Polytheismus beinhaltet,
wurde der Orden Thelema pauschal
als Gruppe eingestuft, die sich
der Teufelsanbetung verschrieben
hätte.
So ist Thelema für die
Zeitschrift "Quick" eine Gruppe
von "Satansverehrern", für die
eher linksliberale Frankfurter
Rundschau eine "Satanssekte"
oder ein "Teufelsclub". Des Be-
griffs "Satanssekte" bedienen
sich auch das Volksblatt Berlin,
die BZ und natürlich die Bild-
Zeitung (beide Springer).
Es ist schon eigenartig,
daß auch scheinbar ganz vonein-
ander unabhängige Zeitungen
unterschiedlicher Ausrichtung
bei diesem Gegenstand genau die
gleiche Tonlage finden.
Folgt man der Darstellung
der Ordensmitglieder Michael
Eschner und Joerg Roestel in
einem Gespräch mit der HAIN-
Redaktion, so scheint es nicht
allzu schwer, die richtigen
Querverbindungen und Impulsgeber
in der Front der Ordensgegner
aufzufinden.
Im Jahre 1983 hatte die
eingetragene Gemeinschaft "The-
lema-Orden des Argentum Astrum
e.V." ein Ordenshaus in Berlin-
Moabit (Quedlinburger Str. 2)
bezogen, in das anfangs 11 Leute
übersiedelten und in dem zeit-
weise bis zu 25 Personen wohnten
und lebten. Das Haus, eine für
3500 DM im Monat gemietete Vil-
la, war als "Abtei" Mittelpunkt
der spirituellen Arbeit wie auch
der wirtschaftlichen Grundlage
des Ordens, eines Buchverlages
und Versands. In dem Verlag sind
inzwischen zahlreiche Werke von
und über Crowley und zum Thema
Magie erschienen. 1983 hatte der
Orden ca. 30 aktive Mitglieder,
die zumindest zeitweise im Or-
denshaus lebten, sowie 3-4
Außengruppen mit jeweils 10 bis
20 Leuten. Schon dies macht
deutlich, daß der Einzug ins
Ordenshaus durchaus eine frei-
willige Entscheidung der betref-
fenden Mitglieder war und nicht
auf einer Zielsetzung der Ür-
densleitung beruhte, bewußt Men-
schen von ihrer Umwelt zu iso-
lieren.
Vom Sommer 1983 bis zum
Sommer 1985 existierte die
"Abtei", zwischen Mai und Dkto-
ber 1985 war sie von den meisten
Bewohnern schon wieder verlassen
worden. Entsprechend der
Grundeinstellung der thelemi-
tischen Philosophie (Crowley
hatte öfter vom "dunklen Zeital-
ter des Christentums" in seinen
50
Schriften gesprochen) war natür-
lich die Kirche schon früh auf
Thelema aufmerksam geworden.
So fand die erste Kon-
taktaufnahme des Sektenbeauf-
tragten der Evangelischen Kirche
Berlin Brandenburg, Pfarrer
Thomas Gandow, laut Eschner im
Jahr 1982 statt. Damals hatte
sich dann Eschner nach eigener
Aussage auch bereit erklärt, im
Rahmen einer kirchlichen Veran-
staltung einen Vortrag über The-
lena und auch über seine
Stellung zum Christentum zu hal-
ten. Den 40 anwesenden Sekten-
pfarrern aus allen Teilen der
Bundesrepublik müssen die Ohren
geklungen haben, als Eschner
abschließend die verschmitzte
Anmerkung machte:"Heilige haben
eine Vergangenheit, Sünder eine
Zukunft".
Trotz dieser ausreichenden
Informationsmöglichkeit, bei der
er eigentlich alles Wichtige
über den weltanschaulichen
Hintergrund des Ordens hätte
erfahren können, schien Gandow
nun erst recht unruhig zu
werden. Er schrieb kurzerhand
einen Brief an den damaligen
Innensenator Lummer, mit der
Bitte, Thelema zu überprüfen.
Des Weiteren, so weiß Eschner zu
berichten, versetzte Gandow über
eine Elterninitiative einige
Eltern von Ordensmitgliedern in
Panik, wobei die verbreiteten
Horrorgeschichten aus dem Ür-
densleben niemals eindeutige
Fakten beinhalteten. Meist hieß
es in den Sektenberatungsstellen
nur, "man hätte gehört", daß
dort "diese oder jene" Praktiken
betrieben werden (z.B. als an-
gebliches Ekeltraining das Ver-
zehren von Kot, Gebrauch exoti-
scher Drogen, Folterkeller). Das
Einspannen der Eltern für kir-
chenpolitische Ziele ist in-
sofern besonders kurios, als der
Orden generell nur Voll jährige
aufnahm. Bei den Ritualen und
Übungsabenden sollen niemals
unter 16 jährige anwesend gewesen
sein. Haben die Protestanten
hier etwa ein gestörtes Verhält-
nis zur Religionsmündigkeit, die
ja bekanntlich schon vor der
Volljährigkeit eintritt?
Nachdem das kirchliche Kes-
seltreiben ungeachtet der Reli-
Martin Coleman
gionsmündigkeit der praktizie-
renden Thelemiten nicht abriß,
wurde Gandow im Frühjahr 1984
von Eschner zum Besuch der Abtei
eingeladen, um sich selbst ein
objektives Bild von den Vorgän-
gen des Ordenslebens zu machen.
Er erschien auch, in Begleitung
von zwei Vikaren, diskutierte
mit den Ordensmitgliedern und
zitierte eifrig aus der Offen-
barung Johannes über den "Anti-
christen". Doch auch dieses
offene Gespräch mit dem klerika-
len Sektenschnüffler fruchtete
nichts. Vielmehr fühlte sich
Gandow bemüßigt, einen zweiten
Brief an den Innensenator zu
schreiben, in dem er auf Klagen
von Eltern bezugnehmend, eine
Isolation der Ofrdensmitglieder
beklagte. Und obwohl das Zeital-
ter der Inquisition nun schon
einige Jahrhunderte zurück
liegt, forderte Gandow vom In-
nensenator sogar ein Verbot des
Ordens!
mn nn genen
RELIGION
BRÜDER, _
LASST UNS NIGHT ÜBER
RELIGION STREITEN
DENN SIE IST WIE
EIN BAUM DESSEN ÄSTE
IN VERSCHIEDENE RICHTUNGEN
AUSSCHLAGEN.
ABER DIE ZWEIGE DES BAUMES
STREBEN DEM SELBEN
IIIMMEI, ENTGEGEN.
Kontaktanzeigen
Drei spirituell leb. Frauen
suchen Gleichgesinnte zwecks
Gründung eines Coven (nach Star-
hawk). Nur im Raum Ruhrgebiet.
Zuschriften unter:
Hauptpostamt Witten
PLK-Nr.: 021494C
Suche Kontakt zu Freunden der
Asen und Wanen im Raum Ulm-
Ehingen, die die Götter nicht in
"braune" Lehren zwängen.
Arnold Mayer
Meisenweg 2
7939 Üpfingen
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Suche Kontakt und/oder Briefkon-
takt zu anderen schwulen oder
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tum sucht Kontakt im Raum Hof,
Nürnberg, München.
Thomas
Tel.: 09281/94818
Wer hat "The Witches Way"
und/oder "Eight Sabbats For Wit-
ches" von Janet und Stewart
Ferrar und würde sie an uns
verkaufen oder verleihen?
Redaktion HAIN
Anmerkung der Redaktion:
Nichtgewerbliche Kontaktanzeigen
sind kostenlos. Als Kontakt-
adresse wird immer der Absender
angegeben, außer im Text steht
etwas anderes. Zuschriften auf
Chiffreanzeigen können wir nur
weiterleiten, wenn ihnen ein
nichtadressierter, ausreichend
frankierter Umschlag beigelegt
wird.
Gruppen, Zeitschriften und Ver-
anstaltungen
Gruppen:
Ökosophische Gesellschaft
Holbeinstraße 1
7800 Freiburg
Philo-Sophia e.V.
(Antike Mythologie in tiefenpsy-
chologischer Deutung)
Steffen Graefe
2000 Hamburg 20
Osterstr. 71
Informationszentrale für nord-
amerikanische Indianer
Richard 5. Kelly
Martin-Buber-Str.1
1000 Berlin 37
Arbeitskreis Heimatreligion
Gerhard Hess
Bornweg 2
6274 Bechtheim
Hegsen-Kreis/Njörd-Verlag.
Hiltrud Simon
Eschenbachstr. 18
6234 Hattersheim
Hecksenkreis Yggdrasil
Postfach 900943
6000 Frankfurt/Main
Fellowship Of Isis
Ulrike Werner
Neddernhof 185a
2117 Tostedt
Johanna Bohmeier
(Thelemitische Philosophie und
Praxis).
Breite Str. 65
3134 Bergen/Dumme
53
Thorqguard Vikings
Harry Radegeis
Elmweg 20
3307 Eitzum
Gemeinschaft für heidnisches
Leben
Matthias Wenger
Lüneburger Str. 7
1000 Berlin 21
Heidnische Gemeinschaft e.V.
Postfach 330443
1000 Berlin 33
Hagia - Akademie und Coven für
kritische matriarchale Forschung
Dr. Heide Göttner-Abendroth
Weghof 2
8351 Winzer
Anthroposophische Gesellschaft
Arbeitszentrum Berlin
Bernadottestr. 90/92
1000 Berlin 33
Findhorn-Kontakt
Peter und Renate Badzinski
Mohnweg 30
3012 Langenhagen 7
Waxing Dak Network
(Wicca - Kontakte)
c/o LaVern Bentz
Unterer Kirchwiesenweg 16
6000 Frankfurt 56
Arbeits- und Forschungskreis
Walther Machalett
z. Hd. Frau Fischer
Vor den Hallonen 43/45
2105 Seevetal 3 (Maschen)
Armanenorden
z. Hd. Adolf Schleipfer
Vitalisstr. 386
5000 Köln 41
Die Goden
Am Kramberg 20
6349 Schönbach
Deutschgläubige Gemeinschaft
e.V.
Holbeinstr. 3
2903 Bad Zwischenahn
Die Deutsche Volkshochschule
e.V. (Ludendorff-Bewegung)
Postfach 1217
3006 Burgwedel 1
Die Artgemeinschaft e.V.
z. Hd. Dr. Wielant Hopfner
Postfach 30
8715 Iphofen
Deutsche Unitarier - Religions-
gemeinschaft freien Glaubens
c/o Friedrich Ehrlicher
Tangastr. 58
8000 München 82
Deutscher Freidenker-Verband
e.V.
Landesverband Berlin.
Hobrechtstr. ß
1000 Berlin 44
Four Winds Tribe
(Indianische Philosophie)
Uwe Krüger
Schönleinstraße 11
1000 Berlin 61
Arbeitsgruppe für Magie, Kult
und Meditation
Michael Frantz
Schubartstr. 6
1000 Berlin 27
Gotarike-Llikinger
Kontakt über den HAIN
Die in Klammern stehenden Anmer-
kungen sind Erläuterungen von
Seiten der Redaktion. Das glei-
che gilt für die folgende Sparte
"Zeitschriften".
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Zeitschriften:
"Mescalito"
(Schamanismus, Magie).
Berthold Röth
Zornstr. 11a
6520 Worms 1
"Freesenbref"
(Kultstätten, Naturschutz,
fries. Heidentum)
Dietrich Hamphoff
Postfach 2026
2970 Emden 1
"Der Jahreskreis"
(Volksbrauchtum)
Postfach 1403
8225 Traunreut
NACHT UND TAG
Schamanischer Kreis Mittsommer 1988
Husä
Tel.
—- Schweden
‚19. Juni. bis 1°. Juli
Rainer Ternieden, D-4576 Bippen-OÖhrte
(05435) 438